9. März 1955 –
Aufgenommen am 7. Dezember 2011 in Botterens.
Dominique Pasquier – Association Films Plans-Fixes (plansfixes.ch)
> Obgleich Dominique Pasquier in die Aufnahme eingewilligt hat, ist es ihm nicht wohl, sich der Kamera – und damit einer unbekannten, womöglich feindlichen Nachwelt – preisgeben zu müssen. Das verraten sein geneigter Kopf und das sympathieheischende Verlegenheitskichern. Doch er überwindet sich und kommt aus sich heraus. Er erzählt vom Schmerzhaften in seinem Leben und gewinnt am Ende festen Boden unter die Füsse. Denn im Erzählreich ist er König. <
In der Sammlung der „Plans Fixes“ gehört Jean-Marc Falcombello mit Abstand zu den besten Befragern. Er bringt von seiner 24-jährigen Zugehörigkeit zu Radio Suisse Romande eine Gesprächstechnik mit, die er in der samstäglichen Sendung „Chemins de terre“ meisterlich ausgeübt hat. Er versteht es zu schweigen und lädt mit wohlwollender Aufnahmebereitschaft den Partner ein, sich auszudehnen. Der hat nun Raum mitzuteilen, wie es in ihm aussieht. Falcombello unterbricht das intensive Zuhören nur durch wenige Interventionen. Sie verstärken den Sog und ziehen den Hörer mit ins Kraftfeld, das seine tiefe, ruhige Stimme etabliert. Auf diese Weise wird, wie schon bei der Befragung von > Ehrwürden Jean Eracle, die Begegnung zu einer runden Sache.
Jean-Marc Falcombello gab das Radiomachen auf, nachdem er auf jahrzehntelangem Weg den Namen Lama Djinpa Lodreu gewonnen hatte und für das Studienzentrum des tibetanischen Buddhismus in Genf (Centre d'Etudes du Bouddhisme Tibétain de Genève CEBT) verantwortlich wurde. An diesem Ort beschäftigte er sich mit der mündlichen Überlieferung der Lehre, und die Frage der mündlichen Überlieferung wiederum verbindet ihn mit dem Schafhirten und Erzähler Dominique Pasquier.
Der Bauernsohn wuchs ins Erzählen hinein (beziehungsweise das Erzählen aus ihm heraus), ohne dass er dafür einen genauen Zeitpunkt angeben könnte. Er kann aber auch nicht sagen, ab wann er die bäuerliche Arbeit aufgenommen hat. „Auf einem Hof kann ein Kind immer Hand anlegen“, erklärt er, „etwa ein Büschel Gras aufnehmen und zu den Tieren bringen.“ Gleich anstrengungslos vollzieht sich der Anfang des Erzählens: „Ich brauche nicht zu denken. Ich sehe einfach Bilder, die aufeinanderfolgen, und beschreibe sie.“
Im Zustand des Erzählens befindet sich Dominique Pasquier auf einer Insel. Da hat er festen Boden unter den Füssen. Da kann die Welt mit ihrem Getriebe nicht andringen. Da ist er König. Und wie alles in seinem Leben ergab sich das Ganze ohne Zutun.
Aufgewachsen in einer Bauernfamilie mit fünf Kindern, übernahm er den Hof. Die beiden älteren Geschwister hatten kein Interesse. Sie schlugen eine akademische Laufbahn ein. „Ich hätte das auch gekonnt, wenn ich gewollt hätte“, erklärt Dominique Pasquier. „Die Eltern übten keinen Druck auf uns aus. Aber mir passte es, hier zu bleiben.“
Gleich wie mit der Berufswahl ging es mit der Partnerwahl. Eine Freundin trat in Dominiques Leben. Sie wurde schwanger. Der 30-Jährige sagte sich: „Warum nicht heiraten, wenn schon ein Kind unterwegs ist?“ Auch da: „Druck gab es keinen.“ Dominique lebte weiter wie bisher. Getrennt von seinem Selbst: „Ich stand neben mir, schaute mir zu, hörte mich reden. Die Dinge passierten, ohne dass ich etwas dazutat.“
Nach einem depressiven Zusammenbruch und mehreren Therapien weiss heute Dominique Pasquier, dass seine Passivität auf ein traumatisches Erlebnis in der Pubertät zurückgeht: In einem Jugendlager wurde er von einem Kameraden berührt. „Nur berührt“, erklärt er. „Ich habe das damals gar nicht so ernstgenommen. Aber bei der Analyse zeigte sich, dass dieser Moment mein ganzes Leben bestimmt hat. In mir erfolgte eine Umkehr: Ich war das Opfer, fühlte mich aber schuldig.“
Aufs Mal platzte die Beule. Dominique verkaufte innert dreier Tage den Viehbestand, wechselte mit Frau und Kindern den Wohnort. Doch da verliess ihn die Frau. „Heute verstehe ich sie. So, wie wie ich damals war, war es mit mir nicht auszuhalten.“ An diesem Punkt bahnte sich die Wende an. Aus dem Bauern wurde ein Schafhirt. Die Arbeit führte ihn auf eine Alp in den Gastlosen. Da erfuhr er das Wunder der Wiedergeburt.
Als er den Boden betrat, fiel alles Vergangene ab. Dominique Pasquier fühlte in sich neue Kraft. Fribourg Tourismus hat die Erklärung: „Zum Gebiet gehört der Wasserfall von Jaun, ein Kraftort der Natur, wo das Wasser mit grosser Wucht direkt aus dem Felsen tritt. Die Boviswerte steigen hier auf bis zu 13’500 Einheiten, was auf sehr viel feinstoffliche Energie hinweist.“
Auf 1800 Metern Höhe kamen in bestimmten Nächten die Sennen zum Erzählen zusammen. Dominique betrat ihren Kreis. Und allen war klar: „Er gehört dazu.“ Seither bildet das Erzählen einen Teil seines Einkommens. Fünfzig Prozent, sagt er. Die ländlichen Kulturgremien laden ihn ein. In den Gemeindesälen versammeln sich die Kinder und Erwachsenen um ihn und erfahren an sich die mündliche Tradition der Altvorderen. Im Weihnachtsprogramm 2023 gab das Westschweizer Radio Dominique Pasquiers Stimme Raum.
Während er im Film der „Plans Fixes“ seinen Werdegang schildert, neigt der Grauhaarige immer wieder den Kopf und kichert in die Kamera. Dazu erklären die Körpersprachler Allan and Barbara Pease:
Das Neigen des Kopfes zur Seite ist ein Unterwerfungssignal, weil es Hals und Nacken entblösst und die Person kleiner und weniger bedrohlich erscheinen lässt. Wahrscheinlich stammt es vom Baby, das seinen Kopf auf die Schulter oder die Brust seiner Eltern legt, und die unterwürfige, nicht bedrohliche Bedeutung, die es vermittelt, scheint von den meisten Menschen, insbesondere Frauen, unbewusst verstanden zu werden.
Untersuchungen von Gemälden aus den letzten 2000 Jahren zeigen, dass Frauen dreimal so oft wie Männer den Kopf neigen, und Frauen werden in der Werbung dreimal so oft wie Männer mit geneigtem Kopf gezeigt. Dies zeigt, dass die meisten Menschen intuitiv verstehen, dass das Zeigen des Halses Unterwerfung bedeutet. Bei Geschäftsverhandlungen mit Männern sollte eine Frau jedoch den Kopf immer hochhalten.
Zum geneigten Kopf führt Desmond Morris aus:
Auch erwachsene Männer zeigen gelegentlich derartige kindliche Verhaltensmuster, und manche Frauen sagen von der Ausstrahlung eines solchen Mannes, er komme ihnen wie ein „verlorener kleiner Junge“ vor.
Das sagen die Experten. Doch dann betritt der „verlorene kleine Junge“ seine Insel und trägt die Geschichte eines Freiburger Originals vor. Er hat eine andere Stimme. Sein Kopf ist nicht mehr geneigt, sondern gerade. Während er die Bilder beschreibt, die an ihm vorbeiziehen, ist er König. Und die Zuhörer verneigen sich vor ihm.