Pierre Duvoisin: Seine Stadt träumen.

12. September 1938 –

 

Aufgenommen am 6. Mai 2009 in Yverdon-les-Bains.

Pierre Duvoisin – Association Films Plans-Fixes (plansfixes.ch)

 

> Für seine Stadt – die zweitgrösste des Kantons Waadt – hat sich Pierre Duvoisin als Syndic (Stadtpräsident) unauslöschliche Verdienste erworben. Auf die Krise der 1970er Jahre, der die grossen Firmen Bolex (Kameras), Hermes (Schreibmaschinen) und Leclanché (Batterien) zum Opfer fielen, reagierte er mit der Auffassung, dass der wirtschaftliche Wiederaufschwung nur gelingen könne, wenn er mit kultureller Entwicklung gekoppelt sei. Das führte zu fünf markanten Resultaten. <

 

Damit es mit seiner Stadt wieder aufwärts gehe, musste sie nach Pierre Duvoisins Überzeugung vom Image als Industrieort wegkommen. Deshalb leitete er (1.) eine Aufwertung der Altstadt ein. Die Häuser wurden wieder so farbig, wie sie es ursprünglich gewesen waren, und verliehen den Gassen mit bunten Fassaden eine fröhliche Ausstrahlung. Im Innern der Gebäude wurden die Wohnungen und Ladenflächen renoviert. „Das ging leicht“, erklärt der ehemalige Syndic in den „Plans Fixes“. „Alle zogen am gleichen Strick: die Stadt, die Hausbesitzer und die Geschäftsleute.“

 

Und weil es mit der Industrie aus war, besann sich Pierre Duvoisin auf die blühende Bäderkultur der Römerzeit und deklarierte (2.), dass die Zukunft im Wasser liege, auf dem Yverdon ruht. Das Thermalzentrum wurde erneuert. Heute bietet es drei Thermalbäder mit Wassertemperaturen zwischen 28 Grad und 34 Grad Celsius an. Ein Bad befindet sich im Innern, die beiden andern im Freien. Daneben gibt es eine Wellnesszone mit einem externen Jacuzzi (einem japanischen Bad), Dampfbädern, einer finnischen Sauna, einem Tylarium (einer Art Biodampfbad) und einer tropischen Dusche.

 

Mit diesem touristischen Trumpf im Ärmel setzte Pierre Duvoisin 1981 durch, dass sich die Stadt (3.) offiziell zu Yverdon-les-Bains umbenenne. Die neue Identität gab dem Ort Aufschwung. Aus einem Kleiderdepot, für das Sammlerinnen 1982 einen Aufbewahrungsort suchten, entstand (4.) das Musée suisse de la Mode. Zu dem Zeitpunkt war auch schon (5.) die Association Plans Fixes, also das Westschweizer Filmpantheon, seit drei Jahren in der Bäderstadt domiziliert. Pierre Duvoisin hatte einen Archivraum, ein Büro und einen Vorführraum zur Verfügung stellen können.

 

„In Yverdon war Ihre glücklichste Zeit“, stellt Michel Bory, der Gründer der „Plans Fixes“, fest. Ein Lächeln erstrahlt auf Pierre Duvoisins Gesicht. Doch die Karriere führte ihn noch weiter hinauf: Zuerst in die Waadtländer Regierung, dann in den Schweizer Nationalrat. Dort allerdings beendete er die letzten drei Monate seines Mandats als Parteiloser. Kein schöner Abgang: „Sie sind dann in keiner Kommission mehr und abgeschnitten vom Informationsfluss.“ Die Sozialdemokraten hatten ihn verstossen, nachdem er im Asylantenwesen durchgegriffen hatte mit dem Ziel, Missbräuche in den Waadtländer Flüchtlings­zentren abzustellen. – Heute, vierzig Jahre später, beschäftigt die Frage, wem was zusteht, die Politik weiterhin, und die Unterscheidung zwischen wahrhaft Verfolgten und Scheinflüchtlingen ist immer noch heftig umkämpft.

 

„Es ist mir stets gut gegangen“, sagt der ehemalige Politiker. Das Schicksal hat ihn in glücklichen Verhältnissen aufwachsen lassen, nämlich auf dem Land. „Es war zwar Krieg, aber auf unserem Bauernhof merkte man das nicht. Wir waren autark. Einziges Manko: die Abwesenheit des Vaters. Er war eingezogen zum Aktivdienst. Aber als er zurückkam, hat er mich stark beeinflusst. Er war ein Träumer. Er las gern. Er hatte eine Bibliothek.“ Nach seinem Vorbild entwickelte sich Pierre Duvoisin in die geistig-kulturelle Richtung. Er wurde Primarlehrer.

 

Mit zwanzig übernahm er in Sassel eine Gesamtschule und unterrichtete 33 Kinder im Alter zwischen 6 und 15 Jahren. Kaum war er installiert, traten die Dorfbewohner auf ihn zu: „Wissen Sie, Ihr Vorgänger hat den gemischten Chor geleitet. Wären Sie dazu auch bereit?“ Nachdem er die Antritttsprobe bestanden hatte, vernahm er: „Einmal im Jahr macht der gemischte Chor eine Theateraufführung. Könnten Sie die Inszenierung übernehmen?“ Damit war der junge Lehrer – auf dem Land trug er den Ehrentitel „le régent“ – in die Gemeinschaft integriert.

 

Bald darauf heiratete er eine gleichaltrige Kollegin. Weil sie den Beruf fortsetzen wollte, suchten die beiden eine Stelle, die für ein Lehrerpaar ausgeschrieben war, und kamen zusammen nach Vinzel, wo sie die Dienstwohnung überm Schulhaus bezogen. Mit 28 wandte sich Pierre Duvoisins Interesse dem Unterricht an der Gewerbeschule zu. Er wechselte nach Yverdon und machte berufsbegleitend das Diplom für die Fächer Französisch, Allgemeinbildung und Mathematik.

 

Um die Lehrlinge für die Staatskunde zu gewinnen, liess er sie Partei­pro­gramme vergleichen. Es ging ihm darum, die Schüler fürs politische Engagement zu motivieren: „Wenn euch etwas missfällt, müsst ihr es ändern. Dafür müsst ihr einer Partei beitreten und mitwirken. Das ist Demokratie.“ Der Lehrer wurde gewahr, dass die Predigt, die er an die Klasse richtete, auch ihn anging, und klopfte bei den Sozialdemokraten an. Die Tür ging gleich auf.

 

Am 3. Mai 1973 schlug die Partei dem Stadtparlament für eine Ersatzwahl in den Gemeinderat (Exekutive) Pierre Duvoisin vor. Am 1. Juni übernahm er mit 34 Jahren die Leitung des Polizei- und Baudepartements. Am 11. November bestätigte ihn die Volkswahl auf seinem Gemeinderatssitz. Am 15. Dezember wählte ihn das Parlament zum Syndic. Er hatte die geschlossene Stimmkraft der Linken hinter sich versammelt und den Gegenkandidaten mit 51 gegen 49 Stimmen ausgestochen.

 

Er habe das Glück gehabt, in einer interessanten Epoche zu leben, findet Pierre Duvoisin. Das Internet fasziniere ihn. „Und wie schaffen Sie es, mit 71 noch so jugendlich zu wirken?“, fragt Michel Bory. „Oh, ich mache nichts Spezielles. Ich beschäftige mich mit dem Garten. Ich wandere. Und ich benütze die schönen Thermalbäder von Yverdon-les-Bains.“ Bei diesen Worten erstrahlt ein listiges Lächeln in seinen Augen.

 

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