Dr. René S. Mach: Professor der Medizin.

28. Juni 1904 – 28. September 1994.

 

Aufgenommen am 11. Juli 1989 in Genf.

Dr René S. Mach – Association Films Plans-Fixes (plansfixes.ch)

 

> Ein wertvolles medizingeschichtliches Dokument. Leider nicht restauriert. René S. Mach ist vergessen. Wie die meisten seiner Generation hat er es nicht ins Netz geschafft. 1989, zum Zeitpunkt der Aufnahme für die „Plans Fixes“, war er 85 Jahre alt. Im Film blickt er auf die Entwicklung der modernen Medizin zurück, zu der er selber beigetragen hat. Damals nannte ihn die inzwischen untergegangene „Revue médicale de la Suisse romande“ „un grand chef“. <

 

René S. Mach kam in den 1920er Jahren zur Medizin, als sie – wie die Physik, die Chemie, die Mathematik, die Philosophie und die Psychologie – ihre moderne Gestalt gewann. So gesehen ist es kein Zufall, dass das S in René Machs Vornamen für Sigmund steht, nota bene ohne -ie-, gleich wie bei Freud.

 

Der junge Arzt begann seine Tätigkeit in einer Epoche, in der noch kaum geforscht wurde. „Ich will Ihnen eine Anekdote geben“, sagt der emeritierte Professor des Genfer Universitätsspitals zur Kamera der „Plans Fixes“:

 

1930 war ich mit meiner Frau Evelyne in einem Pariser Spital, dessen Leiter nichts von Heilmitteln hielt (il n’aimait pas la thérapeutique). Er teilte die Kranken in zwei Gruppen: die, die behandelt wurden, und die, die keine Medikamente bekamen. Merkwürdigerweise sahen die Ergebnisse in den beiden Gruppen ähnlich aus. Der Grund: In jener Zeit wurden alle grossen Krankheiten wie Blutvergiftung, Entzündungen von Lunge, Leber und Nieren nicht behandelt, weil es keine Medikamente gab. Erst nach 1930 begann das Jahrhundert der Therapeutik. Seitdem hat die Medizin gleich viele Fortschritte gemacht wie in den vorangegangenen vier Jahrhunderten zusammen.

 

Als Professor setzte sich René S. Mach am Genfer Universitätsspital engagiert für die Forschung ein. Schon bei der Antrittsvorlesung ermunterte er seine Studenten und Mitarbeiter, den wissenschaftlichen Weg einzuschlagen. Er selber brachte es bis zur Emeritierung auf dreihundert Publikationen, darunter das Standardwerk „L’eau et le sel“, das mit seiner Frau Evelyne entstanden war. René S. Mach war einer der ersten, der das Aldosteron (ein Hormon) zu studieren begann. Doch verlor er den Menschen nie aus dem Blick:

 

Als ich anfing, gab es noch kein Praktikum. Die jungen Mediziner kamen mit einem Kopf voller Theorie daher, wussten aber nichts über die Beziehung Arzt-Patient. Darum war es mir wichtig, ihnen klarzumachen, was ein kranker Mensch ist und wie sensibel er auf das reagiert, was er vernimmt. Ein Arzt muss lernen, wie er zum Patienten spricht. Er muss zeigen, dass er für ihn da ist (être disponible) und an ihn denkt. Dafür braucht er Einfühlungsvermögen. Der Kranke spürt sehr genau, ob das Verhalten des Arztes echt ist oder nicht. Anderseits muss der Arzt die Intoleranzen des Patienten kennen, und zwar nicht nur auf Stoffe wie Milch oder Käse, sondern auch auf Mitmenschen wie zum Beispiel die Schwiegermutter. Dafür braucht es Vertrauen. Oft habe ich erlebt, dass Magenprobleme oder Herzbe­schwer­den verschwanden, nachdem mir die Patienten ihre Lebens­probleme hatten beichten können.

 

Mit der Begabung, das Gegenüber zu spüren und zu erreichen, entwickelte sich bei Prof. Dr. med. René S. Mach die Beziehung zum Patienten oft zum Vertrauensverhältnis und manchmal gar zur Freundschaft. Als Ernest Ansermet 1953 das Genfer Ehrenbürgerrecht erhielt, wünschte er neben Frau und > Tochter auch den Arzt zur Begleitung. Und René S. Mach flog mit Max Huber nach Oslo und Stockholm, als der Ehrenpräsident des IKRK am 10. Dezember 1945 den Friedensnobelpreis für seine Organisation entgegen­nahm. „Bei all seiner Intelligenz und all seinen Erfolgen war er im Grund ein schüchterner Mensch“, erzählt René S. Mach. „Für die Zeremonie trug er riesige Manschetten aus Hartgummi, mit denen er nicht zurechtkam. Ich musste ihm helfen, sie anzuziehen.“

 

Beim Doktor und Professor vereinigen sich enormes Wissen, diagnostischer Scharfsinn, Intuition, Humor und gesunder Menschenverstand zu einer mitreissenden Mischung. Sie machen ihn zum „grand chef“. Was seine Forschung betrifft, hat Thomas S. Kuhn das Wesentliche in der „Struktur wissenschaft­licher Revolutionen“ festgehalten:

 

Fast immer waren die Männer, denen die fundamentale Erfindung eines neuen Paradigmas gelang, entweder sehr jung oder auf dem Gebiet, dessen Paradigma sie änderten, sehr neu. Offensichtlich sind gerade jene, die nicht durch frühere Praxis an die traditionellen Regeln der normalen Wissenschaft gebunden sind, besonders geeignet zu erkennen, dass diese Regeln nicht mehr ein spielbares Spiel definieren, und daher ein anderes System von Regeln zu ersinnen, das jene ersetzen kann.

 

Daraus ergibt sich, dass die Annahme eines neuen Paradigmas oft eine neue Definition der entsprechenden Wissenschaft erfordert.

 

René S. Mach war zu Neudefinitionen imstande. Das zeigt die Begegnung mit ihm auf eindrückliche Weise.

 

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