Véronique Laufer: Eine zur Pfarrerin gewordene Frau.

20. März 1922 – 1. Oktober 2017.

 

Aufgenommen am 24. Januar 2014 in Morges.

Véronique Laufer – Association Films Plans-Fixes (plansfixes.ch)

 

> Die 92-jährige ledige Pfarrerin hat nach der Pensionierung eine Wohnung in Morges bezogen, zusammen mit ihrer ebenfalls ledigen Schwester. Da besucht sie jetzt das Kamerateam der „Plans Fixes“ in der Küche. Sie liebe den Ort, sagt Véronique Laufer. Doch in der Aufnahme ist alles nur Dekoration: Die Tassen sind leer; das Kännchen ebenfalls. Auf diese Weise wird der Kaffeetisch ungewollt zum Symbol: Die Form stimmt zwar, aber die Substanz fehlt. <

 

Véronique Laufer wurde in einen Professorenhaushalt hineingeboren. Der Vater unterrichtete Theologie an der Fakultät der Freikirche in Lausanne. Die Mutter hatte ein Literaturstudium absolviert. Der Lebensstil war gutbürgerlich: Köchin, Hausmädchen, Gouvernante. „Die Küche war das Reich der Angestellten. Meine Mutter hat sie nie aufgesucht. Auch ich habe sie bis zum zwanzigsten Lebensjahr nicht betreten. Das erklärt meine Unbeholfenheit in allem, was mit Kochen und Haushalt zu tun hat.“

 

Erst durch den Beitritt zu den Pfadfindern kam Véronique Laufer mit dem praktischen Leben in Kontakt. Die Mutter war anfänglich dagegen: „Du hast doch einen grossen schönen Garten zum Spielen!“ Das Mädchen aber erklärte, es komme bei den Scouts mit Kindern anderer Schichten zusammen. Diese Erfahrung fehle ihm. Das Argument leuchtete der Mutter ein, und die Tochter bestieg die Karriereleiter des Pfadfinderwesens.

 

Wie wertvoll es ist, sich dort zu betätigen, schildern in den „Plans Fixes“ > Laszlo Nagy, Generalsekretär des Pfadfinder-Weltbunds, und > Perle Bugnion, die 90-jährige Doyenne des Weltbunds der Pfadfinderinnen. Auch > Claude Pahud, Gründer der späteren sozialpädagogischen Hochschule Lausanne, hält ein flammendes Plädoyer für den pädagogischen Wert dieser Freizeittätigkeit. Er erinnert sich: „Als ein Junge klagte, er dürfe am Samstag aus religiösen Gründen weder Feuer schlagen noch Knoten machen, kam ich auf den Gedanken: ‚Komm doch am Mittwoch zu mir! Da zeige ich's dir.‘ “

 

In den Armenquartieren lernte Véronique Laufer Kinder aus sehr einfachen Verhältnissen kennen: „In meiner Gruppe war ein Mädchen, dessen Vater unter der Brücke Flöte spielte. Ich wusste gar nicht, dass es bei uns so viel Armut gibt. In Lausanne versteckt sie sich gut.“ Denselben Schock erlebte > Mutter Sofia, als sie im blauen Kleid einer orthodoxen Ordensschwester den Untergrund der Waadtländer Kantonshauptstadt aufsuchte. Was sie antraf, hätte sie nie erwartet: „In Kalkutta ja, aber nicht bei uns!“

 

Vor dem Hintergrund dieser Erfahrung erstaunt es nicht, dass Véronique Laufer mit 23 Jahren gleich nach dem Krieg der kirchlichen Fürsorge beitrat. Sie kam ins zerbombte Caen. 85 Prozent der Gebäude waren zerstört. Zum Wiederaufbau setzte der französische Staat Algerier ein. Für die Freizeit stand ihnen die Baracke einer ökumenischen Organisation namens CIMADE offen: Dort fanden sie Tische, Bänke, Spiele und ein Getränk. Ein paar junge, gläubige Frauen, darunter Véronique Laufer, hielten das Ganze am Laufen. „Wir hatten nur den Auftrag, da zu sein. Durch unsere Präsenz zeugten wir für Jesus.“ Die Arbeiter aber lachten sie aus: „Ihr vergeudet nur eure Jugend!“

 

Im Umgang mit den Muslimen machte Véronique Laufer entscheidende Erfahrungen. „Alles, was ich an der kirchlich-theologischen Schule in Genf gelernt hatte, nützte mir nichts: nicht die Dogmatik, nicht die Apologie, nicht die Geschichte der biblischen Bücher. Also lernte ich schweigen und zuhören. Das hat mich fürs Leben geprägt.“

 

Zuhören. Den andern Raum geben. Sich nicht selber ausbreiten. Das wurde Véronique Laufers Devise. Seit ihrer – soll man sagen: „Bekehrung“? – spielte sie arbeitsam, aber unauffällig die zweite Geige und erledigte pflichtgemäss, was man ihr auftrug, bis sie mit vierzig in eine schwere depressive Lähmung fiel. „Im Vorgespräch haben Sie geäussert, dass es sich vermutlich um ein Burnout gehandelt habe“, sagt die 92-Jährige zur Interviewerin Annik Mahaim. „Das stimmt wohl. Ich unterzog mich damals einer Psychotherapie. Sie brachte ans Licht, dass meine Trauer vom Sterben der Kirche herrührte. Jetzt habe ich mich mit diesem Faktum abgefunden.“

 

Das Sterben der Kirche. Die Form ist zwar noch da, aber die Substanz fehlt. Dazu passt, dass der Film markant untersteuert ist. Die sehr alte Dame ist kaum zu hören, gleich wie die Institution, der sie angehört. Die beiden haben sich immer korrekt verhalten und den Mitmenschen gedient. Nun erinnert ihr Lebensgang an eine von Kurt Martis „leichenreden“:

 

betrauern wir diesen mann

der nichts war als arbeit und pflicht

betrauern wir diesen mann

weil er immer getan hat

was man von ihm verlangte

 

betrauern wir diesen mann

der nie mit der faust auf den tisch schlug

betrauern wir diesen mann

weil er nie auf das urteil anderer pfiff

und einfach tat was ihm passte

 

betrauern wir diesen mann

nicht weil er gestorben ist

betrauern wir diesen mann

weil er war wie auch wir sind –

betrauern wir uns

 

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