31. März 1920 – 16. April 2012.
Aufgenommen am 11. November 1992 in Anières.
Yvette Z’Graggen – Association Films Plans-Fixes (plansfixes.ch)
> Die unspürbare Frau. Im Alter zwischen 19 und 76 Jahren hat sie 22 Roman- und Erzählbände hervorgebracht. Daneben in der Radiozeit zwischen 32 und 62 Jahren ungezählte Hörspiele und Sendemanuskripte zu kulturellen und literarischen Themen. Daneben drei Übersetzungen aus dem Italienischen und vier aus dem Deutschen. Hier liegt ihre Substanz; abgelegt in 47 Archivschachteln des Fonds Yvette Z’Graggen im schweizerischen Literaturarchiv. Im Filmporträt aber bleibt die Schriftstellerin weitgehend unspürbar. <
In der Unterhaltung für die „Plans Fixes“ gibt sich die 72-jährige Yvette Z’Graggen nett und zugänglich. Die Fragen stellt Françoise Fornerod, Spezialistin für Westschweizer Literatur an der Universität Lausanne. Es geht darum, den Werdegang der Schriftstellerin mit dem Werk zu verfolgen. In heiterem Plauderton liefert die Angesprochene das Verlangte. Gelernt ist gelernt. Die 30-jährige Radiotätigkeit ermöglicht Statements von professioneller Qualität. „Sendefähig ohne einen Schnitt“, würde ein Redaktor dazu vermerken.
Die Frage nach der Herkunft des Familiennamens führt zu einem Ort namens Schattdorf im Kanton Uri. Von dort vertrieb Armut den Grossvater in den Kanton Glarus, wo der junge Mann als Fabrikarbeiter einstieg, bevor er eine Metzgerei übernahm. Dort musste auch der Sohn arbeiten, obgleich ihn das geistige Element viel stärker anzog. Am Ende floh er nach Genf. Dort holte er die Maturität nach und liess sich an der Universität zum Arzt ausbilden. Der Tod des Schwiegervaters – ein aus Österreich-Ungarn eingewanderter Emigrant, der an der berühmten Genfer Fakultät Zahnarzt studiert hatte – veranlasste den frischbackenen Mediziner, dessen Praxis zu übernehmen und sein Einkommen als Zahnarzt zu erzielen.
Die Wege ihrer Vorfahren hat die Schriftstellerin später in einem Buch nachgezeichnet. Daneben hat sie immer wieder das Frauenleben erforscht. Erzählungen und Romane erlaubten ihr, imaginäre Möglichkeiten zu entwickeln und bis zum Ende auszuspinnen. Dichtung als Lebensersatz. Aber auch als Alternative. Yvette Z’Graggen erhielt dafür acht Literaturpreise.
In den Werken liegt die Substanz. An ihr gemessen ist die Person unscheinbar. Werk und Urheber sind wahrhaft zwei verschiedene Dinge. Die Neuenburger Schriftstellerin > Anne-Lise Grobéty erklärte: „Alles, was geschrieben ist, ist wahr – mit Ausnahme der Geschichte.“ Sie beschreibt in ihrem Porträt das Zustandekommen der Texte, gleich wie > Mireille Kuttel. Bedauerlicherweise geht die Gesprächsleiterin in der Unterhaltung mit Yvette Z’Graggen diesem Thema nicht nach. Sie ist offensichtlich nicht von François Truffauts Bestseller „Mr. Hitchcock, wie haben Sie das gemacht?“ inspiriert worden. Dabei hätte die Frage auf den Kern des Geschäfts geführt. Und niemand anderes als Yvette Z’Graggen hätte darüber Auskunft geben können. Jetzt aber bleibt ihr Schreiben gleich unspürbar wie ihr Charakter.
Anderseits hat auch Yvette Z’Graggen ihre Eltern nicht gespürt. Beide waren in Genf ja zugewandert. Die Kultur, in der sie sich bewegten, hatten sie zwar assimiliert, doch durchdrang sie nicht ihr Wesen. Aus diesem Grund schwang in ihrem Gebaren immer eine ironische Distanz mit. Sie brachten, um Heimito von Doderer zu zitieren, „eine Art schützendes Glacis um sich mit, eine Randkluft, die von allem ein wenig schied und damit merkwürdigerweise sogleich eine Bereitschaft verlieh, wohlwollend auf alles einzugehen“.
Mit solch einer Randkluft bewegte sich auch Yvette Z’Graggen durch Leben und Kindheit: „Ich war ein folgsames Mädchen. Wenn ich lieb war, hatten mich die Eltern gern.“ Die Liebenswürdigkeit grundiert jetzt ihre Haltung im freundlichen Gespräch vor der Kamera. Die harten Sachen, mit denen man aneckt, kommen nicht vor. Die stehen im Werk.