29. Januar 1941 – 29. Juli 2021.
Aufgenommen am 31. März 2014 in Hauterive.
Michel Egloff – Association Films Plans-Fixes (plansfixes.ch)
> Er habe, schrieb „Le Temps“, einen gefährlichen Charme (redoutable). Mit ihm verführte er seine Schüler und Studenten, und mit ihm verführte er seinen Dienstherrn, den Neuenburger Staatsrat für Bauten und Kultur André Brandt. Am Ende einer zweistündigen Unterhaltung versprach der Politiker: „Sie werden Ihr Museum bekommen!“ So rief Michel Egloff durch seine Überzeugungskraft auf dem Gipfel der Karriere als Neuenburger Kantonsarchäologe und Universitätsprofessor das Latenium ins Leben, mithin das grösste archäologische Museum der Schweiz. <
Im Vorspann wenden Charles Sigel, der Gesprächsleiter der „Plans Fixes“, und Michel Egloff, der Gründer des Museums, den Blick auf einzelne urgeschichtliche Gegenstände. Dreissigtausend Jahre alt soll der eine sein. Er kommt aus dem Boden, auf dem das Museum steht. Der Fund ergab sich durch den Bau der Autobahn A5 am Nordufer des Neuenburgersees. Bevor die schweren Maschinen auffuhren, erschlossen Archäologen das Gelände. Sie fanden Zeugnisse aus dem Bronzezeitalter (2700 bis 800 v. Chr.), der Jungsteinzeit (10 000 bis 4000 v. Chr.) und der Altsteinzeit (45 000 bis
12 000 v. Chr.).
Die saubere Aufreihung hinter Glas entspricht nicht nur der Würde der Objekte, sondern auch der Ordnung in Michel Egloffs Kopf. Sie verrät sich durch eine faszinierende Formulierungsweise: „Man möchte sagen: die Sprache lag ihm bequem im Munde“, umschreibt Heimito von Doderer diese Art der Mitteilung. Alles, was der gelehrte Mann über sich und die Sachen mitteilt, wirkt kompetent, licht und fasslich. „No bullshit“, bezeichnet das der Gesandte des österreichischen Aussenministeriums Dr. Georg Oberreiter. Im Stimmklang schwingt ein Lächeln mit. Kenneth Clark nennt es „the smile of reason“ (das Lächeln der Vernunft). In ihm spiegelt sich Michael Egloffs Entwicklungsgang von der Romantik zur Wissenschaft.
Schon als Sechsjähriger wusste er, dass er Archäologe werden wolle. Ein Buch über die Höhlenbewohner hatte es ihm angetan. Heute nun, wo er die Tiefe der Zeit ausgemessen hat, teilt er seine helle Freude durch Reden mit. In den „Dämonen“ sagt Heimito von Doderer über den fiktiven Mittelalterhistoriker René Stangeler:
Was ihn schon während der ganzen Unterhaltung leicht und glücklich gemacht hatte, das war die Ordnung, mit der ihm die Worte in den Mund traten, so dass er sagen konnte was er meinte und es mit dem Verstande vertreten auch vor solchen, bei denen er ausser ihrem Verstande für sich wahrlich nichts voraussetzen durfte.
Mit seiner Überzeugungskraft riss Michel Egloff an der Sekundarschule Yverdon die Schüler im Fach Geschichte mit. Promoviert hatte er an der Sorbonne über koptische Keramik: „Kellia: Die koptische Töpferei. Vier Jahrhunderte Handwerk und Austausch in Unterägypten“, 2 Bände. (Kellia : la poterie copte : quatre siècles d'artisanat et d'échanges en Basse-Egypte.) Den Gegenstand hatte er bei einer Grabung in Ägypten kennengelernt. Der Doktorvater André Leroi-Gourhan nahm die Dissertation an, obwohl sie ausserhalb seines Gebiets lag, stellte aber fürs Rigorosum eine hochkarätige Kommission zusammen. Das Doktoratsexamen (soutenance de thèse) dauerte fünf Stunden. In ihnen brachte der Kandidat die glänzende Methodik ans Licht, mit der er sich für die wissenschaftliche Tätigkeit empfahl. Derweil wurden Aussenwelt und Universität von den Pariser Mai-Unruhen erschüttert. „Ich aber war voller Dankbarkeit für den französischen Staat, der mir mit seinem Stipendium die Promotion ermöglicht hatte“, erklärt Michel Egloff.
Die Altertumskunde schliesst nicht aus, dass man sich für die Gegenwart interessiere. „Ich verbringe jeden Tag zwei Stunden mit dem Aufnehmen von Nachrichten“, sagt der 73-Jährige. Der weite Blick war ihm schon während des Studiums wichtig. 23 Stunden pro Woche besuchte er die Universität und belegte auch Fächer, die ihm in den Augen der Kommilitonen nichts nützten. So verfolgte er (was ihm zur Zierde gereicht) die Lehrveranstaltungen von > Jacques Mercanton, „ ja sogar“ (Michel Egloff) > Jacques Chessex.
1969, nach Aufnahme der Berufstätigkeit in Yverdon, welche neben dem Geschichtsunterricht an der Sekundarschule auch die Betreuung des Ortsmuseums umfasste, erhielt der Mittdreissiger eine Berufung in die Kantonshauptstadt. Angeboten wurde ihm die Nachfolge des verunfallten Kantonsarchäologen Jean-Pierre Jéquier, dazu die Leitung des archäologischen Museums Neuenburg und die Professur für Urgeschichte an der Universität. 2001 kamen noch ein neugeschaffenes Institut für Urgeschichte und das Latenium in sein Pflichtenheft.
Im frühen „Brockhaus“ sucht man das Wort „Professor“ vergebens. 1830 wurde es unter dem Lemma „Profess“ behandelt:
Profess, ein lat. Ausdruck, der Bekenntnis heisst, wird in der katholischen Kirche das Ordensgelübde genannt, welches Mönche und Nonnen nach zurückgelegtem Noviziat bei erfolgendem Eintritt in einen geistlichen Orden feierlich ablegen, was man Profess tun oder leisten nennt. Aus gleicher Quelle stammt auch Profession, d. h. das, wozu sich jemand bekennt, was er treibt, namentlich so viel wie Handwerk, und daher Professionist ein Handwerker. Von etwas Profession machen heisst, es als Hauptgeschäft und Erwerbsquelle betreiben. – Professor ist der gewöhnliche Titel der an Universitäten mit Besoldung angestellten und zu bestimmten öffentlichen Vorlesungen verbundenen Lehrer in den vier Fakultäten. Sie werden ordentliche Professoren (Professores ordinarii) zum Unterschiede von jüngeren Universitätslehrern genannt, welchen wegen bewiesener Tüchtigkeit der Titel eines ausserordentlichen Professors (Professor extraordinarius) erteilt wird mit der Aussicht auf Anstellung bei Erledigung eines Lehramts oder einer Professur in der Fakultät ihres Faches. Jetzt führen übrigens auch viele Lehrer an gelehrten Schulen und an Kunstakademien den Professortitel.
Was soll’s? Ehrfurchtgebietend ist nicht der Professorentitel. Ehrfurchtgebietend ist „das Jenseits im Diesseits“ (um einen Lieblingsbegriff Doderers aufzunehmen), das heisst die längst versunkene Welt von fernen, schriftlosen Vorfahren, die durch die Begegnung mit Michel Egloff wieder zu sprechen beginnt.