26. März 1908 – 3. November 1997.
Aufgenommen am 16. April 1992 in Moutier.
Max Robert – Association Films Plans-Fixes (plansfixes.ch)
> Bei der Frage, ob er den Jura liebe, bricht Max Robert die Stimme weg. Zwar möchte er seine Verbundenheit zum Land der Tannen und Weiden aussprechen, doch muss er den Kopf abwenden. Eine Träne rinnt über die Wange. „Meine Mutter war Bernerin“, erklärt er. „Darum war ich für einen dritten Weg (troisième force). Doch wir wurden von beiden Lagern angefeindet, den Separatisten wie den Berntreuen.“ So manifestiert sich bei Max Robert der Schmerz der Weitherzigen. <
Max Robert ist offen. Man kann auf ihn zugehen. Man kann in ihn eintreten. Es gibt bei ihm keine geheimen Spitzen, keine Falltüren, keinen Hinterhalt. In ihm fühlt man sich gleich heimisch. Die Gegenstände sind hell, handlich, übersichtlich geordnet. Das intakte Familienleben seiner Herkunft hat aus ihm einen gefreuten Jungen gemacht, wie man vor mehr als hundert Jahren sagte. Liegt es an der Gegend? Der Schauspieler > Hugues Aufair, auch in Moutier aufgewachsen, hat die gleiche Ausstrahlung. Von beiden hochbetagten Männern geht die Einfachheit des zuverlässigen Menschen aus. Er ist zugänglich (abordable) und ohne Falsch.
Die Formulierungsweise spiegelt Max Roberts Charakter. „Es trägt Verstand und rechter Sinn / Mit wenig Kunst sich selber vor“ (Goethe). Die Übereinstimmung des Menschen mit seiner Art zu sprechen verleiht ihm den Ausdruck von Authentizität und Verlässlichkeit. Max Robert verwendet die Sprache jener Leute, die nicht studiert, dafür aber das Leben bewältigt und gelernt haben, Verantwortung zu tragen. Mit wenigen, praktischen Griffen tun sie stets das Rechte. Anstelle von Umständlichkeit und Angeberei beschränken sie sich auf KISS. Keep it simple and stupid.
Auf diese Weise versteht sich Max Robert gut mit den Künstlern – und die Künstler mit ihm. Er wird zum angesehenen Verleger von Kunstbänden und zum erfolgreichen Organisator von Ausstellungen. Alle Maler und Schriftsteller des Juras kommen mit ihm ins Geschäft. Und es stimmt für beide Seiten.
Die Grundlage von Max Roberts Existenz bildete das Druckgewerbe. Der Vater hatte es sich angeeignet, als ihm nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs angetragen wurde, die Druckerei von Tavannes zu retten. Dabei erwies sich der diplomierte Sekundarlehrer als so geschickt, dass er 1918 nach Moutier gerufen wurde, um die Druckerei der Lokalzeitung „Le petit jurassien“ zu übernehmen. Sechs Jahre später machte Max beim Vater eine Lehre als Typograph.
Er erhielt dabei nicht nur eine Lehre im Schriftsetzen, sondern auch eine Lehre im Schreiben und Denken. „Selbst in einer kleinen Druckerei ist die Fülle der Gegenstände, die man an der Setzmaschine kennenlernt, schier unermesslich“, führt Max Robert aus. „Dabei hast du dir deine Allgemeinbildung geholt“, ergänzt Alphonse Layaz, der Gesprächspartner, „und vermutlich auch Lust bekommen ...“ – „... selber zu schreiben“, gesteht Max Robert. Demzufolge nennt ihn am Ende „Le Dictionnaire du Jura“ Drucker, Stadtrat, Journalist, Kunstliebhaber und Mäzen. (Imprimeur, conseiller municipal, journaliste, amateur d'art et mécène.)
Die vielen Gewerbebetriebe, Maschinen- und Uhrenfabriken, die sich zwischen Tavannes, Moutier und Delémont im Tal der Birs angesiedelt hatten, veranlassten die Druckerei, schon in den 1920er Jahren den Farbdruck einzuführen, um den Wunsch der Kunden nach Farbprospekten zu realisieren. Dieser technische Vorsprung ermöglichte es Max Robert, als einer der ersten farbige Kunstbände zu verlegen. In der Folge druckte er nebst vielen anderen die illustrierten Bücher der Dichter > Hughes Richard und > Georges Borgeaud und die Kataloge von Coghuf und Schnyder, den Malern des Juras.
Auch mit Marc Chagall bekam er es zu tun. Der Maler übermittelte ein Farbmuster: Dieses Grün sollte der Umschlag haben! Robert produzierte eine wohlgelungene Probe. Doch der Meister fand sie daneben und schickte ein zweites Farbbeispiel. Es wich stark vom ersten ab. Der Drucker geriet in Verlegenheit. Da erschien ihm Chagall im Traum: „Sie müssen nicht die Farbe übernehmen, die ich Ihnen schicke, sondern ihre Intensität!“ Jetzt hatte der Drucker begriffen: „Ich setzte die älteste Maschine in Gang, die wir hatten. Sie hinterliess Streifen auf dem Papier. Doch Chagall war hochzufrieden.“
Das Gespräch für die „Plans Fixes“ findet im Alterspflegeheim L'Oréade statt. „Ich bin hier daheim“, sagt der 84-Jährige und weist mit dem Blick auf die Wände: „Ich konnte alle meine Bilder aufhängen. Ich hatte zwei, nein drei, nein vier Schlaganfälle. Ich konnte nicht mehr lesen und schreiben. Eine Erzieherin hat mir beides wieder beigebracht, mit Farben und Tönen wie bei den kleinen Kindern. Jetzt geht es viel langsamer als sonst. Aber ich habe ja Zeit.“
Im Altersheim hat Max Robert seine grosse Freundschaft gefunden. „Am Anfang hatte ich Mühe, mit den Bewohnern Kontakt herzustellen. Ich kam mir überlegen vor. Doch dann merkte ich, dass sie mit anderem beschäftigt waren als ich. Und ich lernte einen Menschen kennen, der mir durch seinen inneren Reichtum imponiert. Er ist als Knecht von der Deutschschweiz in den Jura eingewandert und hat sein Leben lang in hundert Bauernbetrieben gearbeitet. Er kennt die Gegend besser als ich, der hier geboren wurde, und weiss unermesslich viel über die Natur und die Tiere. Alles, was er erzählt, ist für mich ein Geschenk.“
Nachschrift und Kommentar zu Max Robert.
Von Albert Bitzius.
Was ist unsere Rede anders als eine unsichtbare Hand, wunderbar und vielfach gefingert, mit welcher wir fahren über unserer Mitmenschen Gemüter! Und diese Gemüter sind die Instrumente, aus denen Töne quellen bei jeder Berührung, himmlische und himmelschreiende, eben je nach der Berührung. Jedes Instrument gibt einen andern Ton, eine andere Antwort dem Finger, der darüber hinfährt, und wie die Harfe Wind und Wetter fühlen und je nach Regen oder Sonnenschein andere Töne geben soll, so gibt des Menschen Gemüt andere Töne des Morgens, andere des Abends, andere vor dem Essen, andere nach dem Essen, andere nach einem Glas Wasser, andere nach einem Glas Wein, andere nach jedem andern Gesicht, das man gesehen, andere nach jedem Blick, den eine Hausfrau in Küche und Keller getan oder gar auf eine Staubdecke, die nicht sein sollte und doch ist.
Das ist nun die unendliche, nie auszulernende Kunst, und Takt wird sie genannt, die Tasten der Gemüter immer so zu berühren, dass sie nicht gen Himmel schreien, nicht donnern, nicht toben, nicht züngeln spitzig und giftig, sondern fein manierlich aufquellen, wohllautend und schön tönend in mannigfachen harmonischen Weisen sich ergehen und rührsam und wohllautend verklingen, so dass ein süsser Ton in der Seele nachklingt, wie wenn Götter verschwinden ein himmlischer Duft die Luft erfüllt, nach des Teufels Abgang aber ein bestialischer Gestank. Dieser Takt wird wie anderer Takt mehr angeboren als angelernt; aber wie alles auf Erden unvollkommen ist, so ist auch der noch nicht gefunden worden, der taktfest war auf jedem Instrument, dem es nicht entgegengixete und -gaxte, wenn er zur zartesten Melodie angesetzt zu haben glaubte. Es gibt musikalische Tölpel, die fahren mit ihren Fingern überall und zu jeder Stunde herum, und wie grässlich es ihnen entgegenklingt, sie haben ihre Freude dran, wenn es nur klingt. Kunstverständige setzen mit grosser Vorsicht sich hinter ein fremdes Instrument, und eines, von dem sie wissen, dass es verstimmt ist, lassen sie stehen, bis es anders gestimmt ist.
Aber das ist der Gugger [Kuckuck] mit dem Instrument in des Menschen Brust, dass dieses gerade, wenn es am verstimmtesten ist, am meisten nach Fingern verlangt, welche auf ihm herumfahren. Aber nicht immer, um Laut zu geben und so vaterländisch zu wüsten [wüsttun], sondern um gar keinen zu geben, denn gerade wer kupen [zornig sein] will, der wird am täubsten [zornigsten], wenn niemand zu ihm reden will, von wegen wenn niemand einen anredet, so hat man auch niemandem zu antworten, und wer merkt es da, dass man eigentlich kupe, und warum kupet man, als dass man es merke? Ich frage.
Ach, wie mancher arme Teufel hat es erfahren, was es heisst, nicht reden zu jemand, der kupen will, oder auch nicht reden zu jemand, der verstimmt ist! Der wüsste fürder [von jetzt an], wie man aus dem Regen in die Traufe kommen kann. Das ist übrigens ein Kapitel, über welches junge Ehemänner sich eigene Vorlesungen sollten halten lassen und sie schön honorieren. Doch bewahre, dass ich damit sagen will, dass nur junge Weiberherzen verstimmt sein können, bewahre! Es gibt der alten Weiberherzen in die Tausende, die ruggen und raxen, wenn man sie anrührt nur von weitem mit einem Stecklein, wie die Türen unserer leeren Konhäuser ruggen und raxen würden, wenn man sie wieder einmal öffnen täte. Aber alte Ehemänner haben sich etwas angelernt, wie dumm sie daneben sein mögen; sie wissen ungefähr, was sie zu sagen haben, dass es am wenigsten macht, wenn die Frau die Verstimmig hat, und gar mancher findet sich am besten dabei, wenn er geradezu mit dem Finger düpft [tupft], als ob seine Frau eine geladene Elektrisierguttere [-flasche] wäre, ein Schlag oder zwei, und der Teufel ist raus, das Wetter vorbei; aber eben, was gut ist, lernt man nur durch Erfahrung und gutem Willen.
(aus Jeremias Gotthelf: Anne Bäbi Jowäger.)