Claude Frochaux: Intensive literarische Tätigkeit.

12. April 1935 –

 

Aufgenommen am 22. November 2013 in Lausanne.

Claude Frochaux – Association Films Plans-Fixes (plansfixes.ch)

 

> Die Krise als Chance. In den ersten sechs Jahren an der Primarschule von Le Landeron war Claude Frochaux stets der Beste unter den Buben. (Die Mädchen rangierten an der Spitze.) Doch dann folgte der Absturz: Im Collège Saint-Michel Fribourg war er der Schlechteste. Und der Wechsel ans Gymnasium von Neuenburg führte nicht zu einer Verbesserung der Leistungen, sondern zum Schulabbruch. Fortan blieb Claude Frochaux kein anderer Weg mehr offen als der Eintritt ins Erwerbsleben. Er begann eine Buchhändlerlehre. Doch im Rückblick zeigte sich: „Buchhändler ist die beste Ausbildung für einen Verleger.“ <

 

1966, im Alter von 31 Jahren, gründete Claude Frochaux zusammen mit dem Buchhändlerkollegen Vladimir Dimitrijevic in Lausanne den grössten und angesehensten Verlag der Westschweiz: L’Age d’Homme. „Ich bin ein guter zweiter Mann“, erklärte er seinem Freund. „Steh du vorne hin. Ich sekundiere dich.“ Mit dieser Rollenaufteilung begannen die beiden zu wirken. Bald publizierten alle, die Rang und Namen hatten, beziehungsweise bekommen wollten, bei L’Age d’Homme. Frochaux: „Wir konnten die französischen Verlage nicht ausstechen. Aber es gelang uns, die Lücken, die ihre Programme aufwiesen, erfolgreich zu schliessen.“

 

Als guter zweiter Mann hatte Claude Frochaux zuvor schon > Jean-Jacques Langendorf beim Anschlag auf das spanische Konsulat in Genf unterstützt. Die beiden hatten ihre Weltanschauung im Haus von > Marie-Christine Mikhaïlo gewonnen, der Grande Dame der Bewegung: „Die Anarchisten sind die einzigen Gesellschaftsveränderer, die nicht an die Macht wollen.“ Im Anarchismus sahen Frochaux und Langendorf eine Alternative zum Kapitalismus und dem Kommunismus poststalinistischer Observanz. Jetzt ging es ihnen darum, etwas zu unternehmen gegen den Faschismus von General Franco.

 

„Wir planten einen Terrorakt nach Schweizer Manier“, erzählt Claude Frochaux. „Niemand durfte zu Schaden kommen. Nur das Gebäude sollte brennen. Wir wussten nicht, dass in der Garage der Chauffeur neben dem Dienstwagen schlief. Darum hätten wir ihn ums Haar getötet. Das Gerichtsverfahren aber gehörte zu unserem Plan. Wir benützen die Verhandlung als Tribüne, um die spanische Diktatur zu denunzieren. Die Rechnung ging auf. Die Weltpresse berichtete über das Verfahren. Es gab starke Unterstützung von allen Seiten. Und als wir nach sechs Monaten Haft freikamen, wollte der Taxifahrer kein Geld von uns annehmen.“

 

Nach dem Terror setzte Claude Frochaux sein Leben als Kulturtäter fort. Er arbeitete in verschiedenen Buchhandlungen in Paris, London, Genf und Lausanne, und daneben begann er zu schreiben. 1967 brachten die angesehenen Editions du Seuil seine Erzählung „Le lustre du Grand-Théâtre“ heraus. Der 32-Jährige wurde zu jemandem in der französischen Literatur. „Wenn Sie sich durchsetzen wollen, müssen Sie in Paris publizieren“, erklärt der Lektor des Lausanner Verlagshauses.

 

> Sylviane Roche kann die Parislastigkeit der französischen Literaturszene bestätigen. Gern hätte sie der Mutter die Freude gemacht, von einem renommierten Verlag an der Seine gedruckt zu werden und einen renommierten französischen Buchpreis zu gewinnen statt nur den Hörerpreis des Westschweizer Radios und den unbekannten Prix franco-européen. „Aber das“, sagt sie, „sind ausserliterarische Überlegungen“. Immerhin wurden ihre Bücher mehrfach übersetzt: ins Spanische, Italienische, Deutsche, Rumänische, Griechische und Albanische. Aber hat sie deswegen einen Namen?

 

Über Claude Frochaux’ Pult liefen sechshundert Manuskripte pro Jahr. Er achtete auf die Ausdrucksweise des Verfassers: Hat er eine eigene Stimme? Sagt er etwas Neues? Manchmal – vermutlich eher selten – glitt ihm ein Autor durch die Finger. Das passierte auch André Gide, dem späteren Literatur­nobel­preisträger, beim Erstling von Marcel Proust. Er lehnte das Manuskript von „Du Côté de chez Swann“ ab: „Der grösste Fehler meines Lebens.“

 

Das gleiche Schicksal erlebte Roland Donzé. Es ging ihm mit seinem ersten Roman „Une mesure pour rien“ (der Auftakt) nicht besser als jedem Debütanten. Die französischen Verlagshäuser schickten Absage um Absage. „Die Handlung hätte in Paris spielen müssen, oder in Venedig oder New York“, meinte Donzé rückblickend, nachdem auch deutsche Verlagshäuser trotz der Beziehungen seines Freundes Walther Killy eine Übersetzung abgelehnt hatten. „Es fehlt jeglicher Sex. Ein schwerer Nachteil. Ich hätte zumindest einen Enkel einbauen müssen, der die Grossmutter fickt.“

 

Wie der Roman schliesslich bei L’Age d’Homme unterkam, darüber gibt es zwei Versionen. Eine frühe, poetische, und eine späte, realistische. Die frühe Version geht so: Das Manuskript lag auf Claude Frochaux’ Tisch. Der ablehnende Bescheid war schon gefallen. Da kam Vladimir Dimitrijevic, der Verleger, vorbei, und während er darauf wartete, dass der Lektor ein Telefongespräch beendete, begann er, im Text zu blättern. Das erste, was ihm auffiel, war die eigenwillige Form: Viele Dialoge, kaum Beschreibungen. Dimitrjievic fragte, was es mit dem Manuskript auf sich habe. „Wir schicken es zurück.“ – „Ich bin mir da nicht sicher. Ich nehme es mal heute Abend zu mir.“ Am nächsten Tag: „So ein Buch haben wir noch nicht. Wir müssen es drucken.“ – Zweite Version: > Pierre-Olivier Walzer, hochangesehen in der Literaturszene der französischen Schweiz, liess seinen Einfluss spielen: „So ein Buch haben Sie noch nicht. Sie müssen es drucken!“

 

Den Umschlagpunkt zwischen den beiden Versionen bildet die Überschreitung von Donzés achtzigstem Lebensjahr. Solange er noch der Alte war (mithin der Junge), überblickte seine Intelligenz die spielerischen Abweichungen von der Wirklichkeit und blieb bei allem so konsistent, dass ein Verhörrichter gesagt hätte: „Er sagt die Wahrheit!“ Doch nach achtzig passierte es, dass Donzé neue Versionen der alten Geschichten herausrutschten, weniger glanzvoll, alltäglicher, banaler als die ersten, und weil seine Kraft nicht mehr ausreichte, die Phantasiegebilde zusammen­zuhalten, blieb er am Ende bei den alltäglichen Versionen stehen.

 

Ob das, was herauskam, die Mühsal wert gewesen ist? Die Leser – und das heisst ja auch in hohem Mass: Donzés Schüler – hatten ihn bereits nach den ersten Kapiteln des ersten Bandes verlassen. „Dort haben Sie einen Riegel vors Werk geschoben, den die wenigsten sprengen konnten“, stellte der Verleger fest, der die Verkaufszahlen kannte. So fand man die Bücher kurze Zeit nach ihrem Erscheinen schon im Antiquariat. Donzé aber schrieb weiter. Vielleicht dachte er, dass der nächste, der übernächste Band es richten werde. Oder dann der Abschluss des Ganzen, „L’Impromptu de Boston“, leicht und federnd hingetupft, das Schwere mit heiterer Lakonie umspielend, irgendwie verwandt mit dem letzten Geniestreich des greisen Verdi, „Falstaff“, den man auch kaum auf eine Reihe mit dem vorangehenden Werk bringen kann. In Donzés Fall aber blieb die Vollendung der fünfbändigen Saga vom Feuilleton unbeachtet. „Die echten Dichter“, sagt Egon Friedell, „gehen immer inkognito umher wie die Könige in den Anekdoten. Sie sprechen mit dem Volk, das Volk antwortet ihnen kaum und sieht an ihnen vorbei. Später kommt dann einer und erklärt den Leuten, wer das eigentlich gewesen sei. Aber inzwischen hat sich der verkleidete König längst davongemacht.“

 

Roland Donzé starb 2011. Seine Romane sind nicht mehr lieferbar. Alles hat seine Zeit. „Schwieriges ist heute nicht mehr gefragt“, sagt Claude Frochaux in den „Plans Fixes“. „Die Realität hat die Imagination verdrängt.“ Wie recht er hat! Die messbare Leistung der Sportler an der Pariser Olympiade überstrahlt heute die Kunst der anspruchsvollen Schriftsteller. Die Realität hat die Imagination verdrängt.

 

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