Jean-Pierre Monnier: Schriftsteller.

20 Dezember 1921 – 29. November 1997.

 

Aufgenommen am 27. August 1991 in Epautheyres.

Jean-Pierre Monnier – Association Films Plans-Fixes (plansfixes.ch)

 

> Fürs Gespräch mit René Zahnd, einem jüngeren Schriftstellerkollegen, hat Jean-Pierre Monnier eine Flasche Weisswein auf den Tisch gestellt. Während der Aufnahme für die „Plans Fixes“ geht ihr Inhalt sacht zurück. Die Stimmung ist gut. Jean-Pierre Monnier lehnt sich gemütlich in die Bank und gibt sich, wie er ist. Damit lässt er die Zuschauer an seine Person herankommen.  Doch beim Thema Schreiben verbirgt er sich hinter Allgemeinheiten. <

 

Als die Hefe der Trance weiterwirkte, hatte Maurice die Illusion eines Porträts, das sich mal mit, mal gegen seinen Willen von einem männlichen in ein weibliches Bildnis verwandelte und über das Fussballfeld sprang, in dem er badete ... Er stöhnte, halb schlafend. Es gab etwas Besseres in seinem Leben als diesen Quatsch, wenn er nur dorthin gelangen konnte – Liebe – Adel – grosse Räume, die die Leidenschaft umklammerte, Räume, die keine Wissenschaft erreichen konnte, aber für immer existierten, einige von ihnen voller Worte, und gewölbt mit majestätischem Himmel und einem Freund ...

 

Er schlief wirklich, als er aufsprang und die Vorhänge zurückwarf mit dem Schrei: „Komm!“ Die Tat weckte ihn auf; warum hatte er das getan? Nebel bedeckte das Gras des Parks, und die Baumstämme ragten daraus hervor wie die Kanalmarken in der Flussmündung bei seiner alten Privatschule. Es war furchtbar kalt. Er zitterte und ballte die Fäuste. Der Mond war aufgegangen. Unten befand sich der Salon, und die Männer, die das Dach reparierten, hatten ihre Leiter an seinem Fenster gelassen. Wozu hatten sie das getan? Er rüttelte an der Leiter und warf einen Blick auf die Bäume, aber der Wunsch, in den Wald zu gehen, verschwand, sobald er aufkam. Wozu sollte das gut sein? Er war zu alt für Spässe im Nassen.

 

Doch als er in sein Bett zurückkehrte, vernahm er ein kleines Geräusch, ein Geräusch, so vertraut, wie wenn es in seinem eigenen Körper entstanden wäre. Es schien zu knistern und zu brennen, und er sah die Spitze der Leiter im Mondlicht zittern. Der Kopf und die Schultern eines Mannes tauchten auf, hielten inne, ein Gewehr wurde ganz vorsichtig gegen das Fensterbrett gelehnt, und jemand, den er kaum kannte, bewegte sich auf ihn zu, kniete neben ihn und flüsterte: „Sir, haben Sie nach mir gerufen? ... Sir, ich weiss ... ich weiss“, und berührte ihn.

 

Am Höhepunkt des Romans „Maurice“ verrät E. M. Forster mit der Sexualnot des Helden zugleich seine eigene Befindlichkeit. Deshalb wird das wundersame Coming-in, das in der Fiktion stattfindet, für den Autor in der Realität des Lebens zum Coming-out. E. M. Forster verrät jedoch mit der Szene nicht nur seine Homosexualität, sondern auch, warum man schreibt: Um eine verwandte Seele anzuziehen, die von weitem herkommt, niederkniet, einen anfasst und flüstert: „Ich weiss … ich weiss ...“

 

Im Gespräch mit René Zahnd bekennt das auch Jean-Pierre Monnier, als er gefragt wird, worin denn der Sinn des Schreibens liege. In Vorwegnahme der grossen, überwältigenden, richtigen Antwort (Goethe: „Eine richtige Antwort ist wie ein lieblicher Kuss.“) fühlen sich die Autoren bei ihrer Tätigkeit immer wieder vom Glück überschwemmt.

 

Wenn das Gespräch aufs Schreiben kam, pflegte Monniers Jahrgangsgenosse, der Romancier Roland Donzé, zu erklären: „Je m’amuse.“ Und er räumte ein: „Ich weiss, dass das Buch kaum Leser finden wird. Doch ist es auch nicht für die Menge gedacht, sondern für die paar wenigen von gleicher Sensibilität, die am selben Freude haben wie ich.“

 

Was aber ist der Ausgangspunkt des Schriftstellers? „Der Ort, der ihm am nächsten liegt“, antwortet Jean-Pierre Monnier. „Also die Welt, die er als Kind erforscht und entdeckt hat.“ Gleich sieht es Erich Gilb, der Wirt des Bahnhofrestaurants Tägertschi: „Die Umgebung formt den Menschen. Das ist ein altes Sprichwort.“

 

Nach den Gesprächen auf der Aussichtsterrasse gehören allerdings seine Gäste nicht zu den Lesern von Büchern. Mit ihren Redewendungen, Frisuren, Kleidern, Flipflops, Piercings und Tätowierungen bilden sie jene Gilde, die Charles Dickens mit dem Satz erfasste: „Sie setzten sich aus Versatz­stücken der Individualität anderer Menschen zusammen und hatten keine eigene Existenz.“

 

So ist die Welt. „Der Schriftsteller kann dem Regionalismus nicht entgehen“, meint Jean-Pierre Monnier. „Faulkner schrieb über die Südstaaten der USA, Balzac über Paris, Ramuz über das Welschland. Wichtig ist nur, dass der Ort universelle Dimensionen hat, also nicht in der Kirchturm­perspektive steckenbleibt. Sonst wird das Geschriebene heimat­kundlich.“ Was auch nicht ohne Reiz ist, sofern es Süsslichkeit, Sentimenta­lität und Nostalgie vermeidet.

 

Über sein Heimatdorf Tramelan schrieb Adam Rossel:

 

Im Dezember 1872 lag Staub auf der Strasse. Am Ende des Monats zog Monsieur Eugène Mathez, eine starke, originelle Natur, ein gehärteter Charakter, den Pflug. Der Sohn Louis-Philippe lenkte das Gespann.

 

Am Mittag, nachdem er den ganzen Vormittag gut gearbeitet hatte, ging Eugène Mathez zu seinem 12-jährigen Sohn und schüttelte ihn kräftig an den Ohren, so dass dem Kind die Tränen aus den Augen schossen.

 

„Das soll dich daran erinnern, dass in der Woche zwischen Weihnachten und Neujahr eintausendachthundertzweiundsiebzig auf den Cerniettes der Pflug gezogen wurde.“

 

Damals wandte man sich oft mit Mitteln an das Verständnis der Kinder, die in Erinnerung blieben ...

 

In seiner Anekdote evoziert Adam Rossel eine Bauernfaust und ein Kinderohr. Gleich konkret wird das Gespräch in den „Plans Fixes“ nie. Obwohl sich zwei Schriftsteller gegenübersitzen, machen sie ihre Tätigkeit nicht zum Thema. Deshalb vernimmt man nicht, wie Jean-Pierre Monnier zu den Stoffen kommt. Ob er von Hand schreibt oder mit der Maschine. Welche Phasen ein Text bei ihm durchläuft.

 

Das Reden übers Handwerk nannte Roland Donzé „parler cordonnier“. Er äusserte sich über seine Tätigkeit mit der gleichen Freude wie der Gärtner über seine Pflanzen oder der Koch über seine Speisen. Unverhohlen gestand er, er sei stolz auf seine Dialoge. „Ich kann nur das, aber das kann ich. Man muss als Autor – vor allem, wenn man so spät anfängt wie ich – nur das machen, was man kann. Darum fehlen in meinen Romanen die Beschreibungen. Ich verstehe mich nicht darauf.“

 

Donzé hatte eine Abneigung gegen das Korrigieren. Das Herumfeilen, sagte er, sei nicht sein Ding. Nachdem er ein Kapitel geschrieben habe, vertrage er seinen Anblick nicht mehr (wohl weil er daran zu viele Unvollkommenheiten erblickt hätte). Wenn er merke, dass das Geschriebene nicht gelungen sei, lege er es beiseite und fange neu an. Nur wenn der Text in einem einzigen, schlafwandlerisch gezogenen Strich zu Papier komme (d’un jet), stehe jede Einzelheit an ihrem richtigen Platz, habe das Kapitel Spannung, die Erzählung einen Bogen, stimme alles in sich selbst (tout se tient). Er habe das von den grossen Italienern gelernt. Sie hätten es „Stesura“ genannt: hingewor­fene Niederschrift.

 

Von Jean-Pierre Monnier vernimmt man, dass er keinen Tag vergehen liess, ohne zu schreiben. (Nulla dies sine linea.) Am Abend schob er sein Gymnasiallehrerpensum beiseite und – ja, was nun? Setzte er sich ans Pult? Oder hinter die Schreibmaschine? Nahm er eine Feder zur Hand oder einen Bleistift? > Mireille Kuttel, > Anne-Lise Grobéty und > Catherine Louis werden konkret. Jean-Pierre Monnier aber bleibt ungreifbar. Er lässt zwar in seiner Stube die Zuschauer an sich herankommen. Doch beim Thema Schreiben bleibt er hinter Allgemeinheiten versteckt.

 

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