Georges Athanasiadès: Qui cantat bis orat. Wer singt, betet zweimal.

27. Juli 1929 – 3. Februar 2022.

 

Aufgenommen am 30. August 2013 in Saint-Maurice.

Georges Athanasiadès – Association Films Plans-Fixes (plansfixes.ch)

 

> Als Georges Athanasiadès 17 Jahre alt war, durchbohrte ihn an der Klosterschule von Saint-Maurice der Blitz der Liebe (le coup de foudre). Von da an wurde alles anders. Der hochbegabte Gymnasiast, der zwischen einer naturwissenschaft­lichen und einer pianistischen Laufbahn geschwankt hatte, erkannte auf einmal, wonach er sein Leben ausrichten müsse: auf Gott. Demzufolge trat er in den Orden des Klosters ein: Congrégation des chanoines réguliers de Saint-Maurice d’Agaune (C.R.A.), gegründet am 30. März 1128. Der 83-jährige Stiftsherr ergänzt: „Anstatt vom ‚Blitz der Liebe’ müsste ich eigentlich vom ‚Blitz der Gnade’ reden.“ <

 

Georges Athanasiadès hat ein frohes, mitreissendes Wesen. Welchem Gegenstand er sich zuwendet, überall vollzieht sich das Wunder der Belebung. Offensichtlich hat es seine Bedeutung, dass im ältesten Kloster nördlich der Alpen seit über anderthalb Jahrtausenden das Lob Gottes (LAVS DEO) gesungen und gebetet wird. Wer da geformt wurde, wendet sich den Sachen und Menschen mit Liebe zu, auf dass sie gedeihen zur Freude Gottes.

 

Der Same, den Georges Athanasiadès empfing und weitergab, trug tausendfältige Frucht. „Anfangs dachte ich: ‚Wenn ich einmal auf die Visitenkarte setzen könnte, wer alles mein Schüler war!’ Und heute? Ohne in die Sünde der Eitelkeit zu fallen, darf ich feststellen, dass sämtliche Bischöfe der Westschweiz durch meinen Unterricht gegangen sind. Dazu zahlreiche Politiker: Kantonsräte, Staatsräte, Nationalräte ...“

 

Aus Dankbarkeit für die unauslöschlichen Begeg­nungen mit der Romantik, die der Deutschlehrer ermöglichte, hat eine seiner Klassen zum fünfzigsten Jahrestag der Matur die Aufnahme der „Plans Fixes“ mitgesponsert. Georges Athanasiadès erinnert sich: „Um einen breiten Eindruck von der Epoche zu geben, wechselten wir ins Singzimmer, und ich spielte am Klavier Schubert vor.“

 

Geführt von den Oberen, absolvierte Georges Athanasiadès eine Ausbildung, welche den Bedürfnissen des Ordens entsprach: Zuerst Theologie und Priesterweihe. Dann mit 22 Jahren Germanistik und Musikwissen­schaft an den Universitäten Heidelberg und Freiburg i. Br. Damit war er in der Lage, vierzig Jahre lang die Gymnasialfächer Deutsch und Griechisch zu erteilen.

 

Doch chronologisch betrachtet verlief sein Lebensgang nach dem Motto: „Prima la musica, dopo le parole.“ Schon mit 20 Jahren ernannten ihn die Väter zum Titularorganisten. Seine Begabung sprach sich herum. Die Dirigenten, die am Festival von Montreux auftraten, fingen an, die Sonntagsmesse von Saint-Maurice zu besuchen – wegen der Orgel. Mit Josef Krips wurde die Begegnung zur Freundschaft. Georges Athanasiadès übersetzte die von der Witwe herausgegebenen Briefe ins Französische: „Josef Krips, pas de musique sans amour“.

 

Josef Krips war der einzige österreichische Dirigent, der nach dem Zweiten Weltkrieg als unbelastet galt und deshalb nach dem Einmarsch in Wien vom sowjeti­schen Stadtkommandanten zum Einsatz aufgeboten wurde. Da das Haus am Ring zerbombt war, fanden die Aufführungen mit den Künstlern der Staatsoper in der Volksoper statt. Mit diesem Anfang wurde Krips zu einem der meistgefragten Dirigenten. Als erster leitete er nach dem Zweiten Welt­krieg die Wiener Philharmoniker und dirigierte bei den ersten Salzburger Festspielen der Nachkriegszeit.

 

Ein weiterer Besucher von Georges Athanasiadès war Leopold Stokowski. Er kannte den Organisten von seinen Platten her und wollte nun live etwas von ihm hören. „Ich dachte zuerst an Johann Sebastian Bachs Toccata und Fuge in d-moll. Doch dann sagte ich mir: ‚Das geht nicht. Die hat er ja selbst transkribiert. Er soll nicht meinen, ich wolle ihn belehren ... Doch dann gab ich mir einen Schubs: Warum nicht?’ – Nach dem Spiel blieb Stokowski eine Weile stumm. Dann sagte er: ‚Wenn ich Sie früher gehört hätte, hätte ich meine Transkriptionen nicht gemacht.’ Er erklärte mir, dass die Orgeln, die er gekannt habe, technisch zu träg gewesen seien. Das habe seine Auffassung verfälscht.“

 

Die vielen Schallplatten hatten zur Folge, dass Georges Athanasiadès auf allen Kontinenten zu Konzerten eingeladen wurde. „Ich war überall“, sagt der berühmte Musiker, „ausser in Australien und Südamerika“. Zu seinem 80. Geburtstag erfolgte sogar eine Einladung nach Peking. „Vielfach fragen mich die Leute, warum ich besser sei als andere Organisten. Nun, ich will nicht sagen, ich sei besser. Aber ich bin anders. Das schon. Und wenn ich über­lege, woher das kommt, finde ich die Erklärung am Anfang der Bibel. Da heisst es: ‚... Der Atem Gottes schwebte über dem Wasser. Und Gott sprach: …’ Sie sehen: Zuerst atmet Gott. Dann spricht er. Die meisten Organisten aber vergessen zu atmen.“

 

Nach dieser Lektion wechselt die Kamera in den Orgelstuhl. Der 83-Jährige „... setzt sich selbst, von Begeisterung glühend, an die Orgel ...“ (so die Worte in Heinrich von Kleists Legende „Die heilige Cäcilie oder Die Gewalt der Musik“): „… Demnach kam es, wie ein wunderbarer, himmlischer Trost, in die Herzen … um die Seelen, wie auf Schwingen, durch alle Himmel des Wohlklangs zu führen; das Oratorium ward mit der höchsten und herrlichsten musikalischen Pracht ausgeführt.“ Der Zuschauer aber wird Zeuge, wie Georges Athanasiadès sich mit Liebe den Sachen und Menschen zuwendet, auf dass sie gedeihen zur Freude Gottes.

 

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