Bernard Bertossa: Ein moralischer Blick auf die Justiz.

12. September 1942 –

 

Aufgenommen am 21. November 2012 in Anières.

Bernard Bertossa – Association Films Plans-Fixes (plansfixes.ch)

 

> Als Genfer Generalstaatsanwalt bringt es Bernard Bertossa in die englischsprachige Wikipedia. Er verdankt diesen Ruhm dem Kampf gegen die organisierte Kriminalität mit ihren Geschäftsfeldern Geldwäscherei und Korruption: „Als ich das Amt antrat, verfolgten wir die kleinen Dealer. Aber die grossen Fische schonten wir. Heute jedoch haben die Grossverbrecher und Diktatoren Angst vor der Genfer Staatsanwaltschaft. Das ist gut so. “ <

 

Bernard Bertossa stammt aus bescheidenen Verhältnissen. Die Eltern wanderten aus dem italienischsprachigen Südbünden in Genf ein, heirateten und brachten vier Kinder zur Welt. Die Mutter war Hausfrau, der Vater Flachmaler auf dem Bau. Als praktizierende Katholiken gingen alle sonntags miteinander zum Gottesdienst. Bernard wurde Chorknabe.

 

Was ihn selbst und seine Kindheit betrifft, ist Bernard Bertossa verschlossen. „Ich glaube, Sie reden nicht gern über das Persönliche“, äussert Charles Sigel am Anfang der Aufnahme. Der Angesprochene bestätigt die Vermutung mit einem trockenen Nein. Die Taten, führt er aus, würden einen Menschen charakterisieren. Aus diesem Grund spricht er nicht weiter über sich, sondern über seine Fälle.

 

Die Fälle Bhutto, Salinas, Borodin und Nasarbajew brachten Bernard Bertossa zwischen 1990 und 2002 in die internationalen Medien. Er griff ungescheut in die Schlangengrube, nachdem das schweizerische Strafrecht Korruption und Geldwäscherei ins Register der Straftaten aufgenommen hatte. „Persönlich habe ich nie unter Ungerechtigkeit und Benachteiligung gelitten. Dass es anderen besser ging, machte mich nicht neidisch. Aber wenn Diktatoren ihr Land durch Korruption zugrunde richten und sich auf Kosten des Volks bereichern, ist das eine Ungerechtigkeit, gegen die ich vorgehen musste.“

 

Mit wenigen Worten umreisst der frühere Generalstaatsanwalt die Zusammenhänge: Korruption lähmt die Volkswirtschaft und führt zu Armut. Armut treibt die Menschen in die Kriminalität. „Darum hilft es nichts, die kleinen Dealer in Genf festzunehmen. Die Häupter im Ausland machen den Gewinn. Die muss man verfolgen.“

 

Anfangs war die Genfer Justiz dafür nicht gerüstet. Der Staatsanwaltschaft und der Polizei fehlten die Wirtschaftssachverständigen. Das Know-how musste erst aufgebaut werden. Obgleich noch behindert durch die Landesgrenzen, kam der Kampf gegen die internationale Wirtschaftskriminalität während Bernard Bertossas Dienstzeit in Schwung.

 

1995 erhielt er von der Universität Genf den Doktor honoris causa. 1996 gehörte er zu den Mitunterzeichnern des „Appel de Genève“. Sieben prominente Strafverfolger verlangten die Schaffung eines europäischen Rechtsraums gegen Korruption und Geldwäscherei und die Aufhebung des Bankgeheimnisses. Sie nahmen Steuerflucht und Offshore-Tätigkeiten ins Visier. 1997 unterschrieben vierhundert französische Richter und hundert Absolventen der französischen Richterschule (élèves de l'école de la magistrature) den Genfer Appell.

 

2003 wechselte Bernard Bertossa für vier Jahre als Richter ans eidgenössische Bundesstrafgericht. 2007 ging er mit 65 in Pension. 2012 empfing er mit 70 das Kamerateam der „Plans Fixes“ bei sich zuhause in Anières. Aber der diskrete Mann sagte nichts über seine gegenwärtigen Beschäftigungen. Der Aussenstehende vernimmt nicht, ob eine Frau an seiner Seite lebt oder gelebt hat.

 

Wikipedia verrät indes, Bernard sei Vater von Yves Bertossa. Und der schaffte es als Vorsitzender der Abteilung für komplexe Fälle der Genfer Staatsanwaltschaft (section des affaires complexes du Ministère public) am 9. September 2024 in eine Hauptgeschichte von „Inside Justiz“ (einem Online-Magazin und Nachrichtenportal, das sich auf investigativen Journalismus zur Justiz in der Schweiz spezialisiert hat):

 

Yves Bertossa: Der unermüdliche Staatsanwalt im Kampf gegen Korruption und Ungerechtigkeit

 

Yves Bertossa profilierte sich in den vergangenen zehn Jahren vor allem als Kämpfer gegen die Wirtschaftskriminalität und Korruption. Er scheute sich nicht vor mächtigen Gegnern wie die Credit Suisse, gegen die Bertossa eine Strafuntersuchung wegen Organisationsmängeln bei der Bekämpfung von Geldwäscherei eröffnete.

 

In all seinen Fällen, die immer wieder für Furore sorgten, musste er sich die Kritik anhören, zu hart und unverhältnismässig zu ermitteln, was das Risiko birgt, dass die Unschuldsvermutung untergraben wird. In einem seiner seltenen Interviews, das er dem Magazin der NGO Public Eye gab, sagt er über seine Arbeit in diesem Feld wohl etwas Entscheidendes: „Man kann immer alles noch besser oder anders machen – oder man tut gar nichts. Ich für meinen Teil ziehe es vor, zu handeln und mich der Kritik zu stellen, statt tatenlos zuzusehen.“ In einem Land, in dem es immer wieder zu grossen Geldwäsche-Skandalen kommt, ein politischer Unwille der bürgerlichen Parteien zur Anpackung dieser Probleme besteht und die Meldestelle für Geldwäscherei (MROS) wegen massiv steigender Anzeigen (+53 % im Jahr 2023) notorisch überlastet ist, benötigt es mutige Staatsanwälte wie Yves Bertossa, die schwerreichen Kriminellen aufzeigen, dass vor dem Gesetz alle gleich sind.

 

Gut gesagt. Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm.

 

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