Luigi Ferdinando Tagliavini: Musiker und Musikhistoriker.

7. Oktober 1929 – 11. Juli 2017.

 

Aufgenommen am 27. November 2000 in Portalban.

Luigi Ferdinando Tagliavini – Association Films Plans-Fixes (plansfixes.ch)

 

> Für Luigi Ferdinando Tagliavini ist das Und wichtig: Musiker und Musikhistoriker. Er meint, jeder Interpret, der nicht Selbstkomponiertes vortrage, gehe in die Irre, wenn er sich beim Spielen bloss auf seine Intuition, sein Empfinden, seine Wahrnehmung, kurz: sein Bauchgefühl verlasse. Andererseits verdorre jeder Musikwissenschafter, der nicht auch musiziere. <

 

Zuerst hört man nur Orgeltöne. Dann erscheint die Titelsequenz der „Plans Fixes“: „Ein Gespräch ohne Wiederholungen und Schnitte“ (un entretien tourné sans reprise ni coupure). Später zeigt das Bild den Rücken eines Mannes. Er sitzt an einer Orgel und spielt auf drei Manualen. Neben ihm steht ein zweiter Mann und blickt ihm über die Schulter. Nach einer Weile folgen zwei Schrifttafeln. Die erste sagt, welche Sonate von Domenico Scarlatti soeben zu hören ist, und die zweite, wo die Orgel steht, die erklingt: Sie befindet sich in Portalban, im Haus von Professor Luigi Ferdinando Tagliavini.

 

Der Name des Dorfs mit ein paar hundert Einwohnern am Südufer des Neuenburgersees geht auf die Römerzeit zurück. Portalban bezeichnete den Hafen (portus) des Albanus. Von Chabrey (493 m ü. M.), Delley (497 m ü. M.) und Gletterens (486 m ü. M.) führen drei Strassen hinunter zur Schiffländte (430 m ü. M.). Vor ihr steht das Restaurant „Le Bateau“. Dort ist seit 1966 die Fribourg aufgedockt. Der Halbsalondampfer mit einer Tragkraft von 550 Personen (Länge über alles 48,5 m, Breite über alles 11 m) wurde 1913 von Escher Wyss & Cie. Zürich erbaut. Nach hervorragenden Probefahrten versah der Kohlenbrenner ein halbes Jahrhundert lang im Dreiseengebiet die Kursfahrten der Neuenburger Schiffahrtsgesellschaft. Dann begann auf dem Trockenen sein zweites Leben als Feinschmeckerlokal.

 

Aufgehoben für die Feinschmecker sind auch die verschiedenen Instrumente im Haus von Professor Luigi Ferdinando Tagliavini, darunter 19 Cembali. Lange Zeit hatte jedes Instrument eine andere Mechanik und einen anderen Klang. Wie die Speisen unserer Mütter waren sie geprägt von der Herkunft, der Region, den Idealen, dem Können und dem Genie des Erbauers. Die individuellen Instrumente wiederum prägten die Klangvorstellungen der Interpreten und Komponisten. Will man ihnen heute entsprechen, muss man die Instrumente finden, für welche die Partituren geschrieben wurden.

 

Das zeigen unter anderem Mozarts letzte Sinfonien. Bei der 40. hat der Komponist gegenüber der 39. die Orchestergrösse von 30 auf 25 Musiker reduziert. Die Trompeten sind weg. Das Schlagzeug ist weg. Die Klarinetten sind weg. Zwei Flöten sind weg. Und was ist das Resultat? Die Komposition wird noch reicher. Die Farben, Akkorde und Melodien erreichen einen nie gehörten Grad von Innigkeit. "Das kann nur ich!", sagt Mozart.  

 

Für die Musiker von Anima Eterna – allesamt Spezialisten für historische Aufführungspraxis – bedeuteten diese letzten Sinfonien indes eine strenge Herausforderung. Die Hornisten waren mit dem Material nicht zufrieden. Sie suchten und suchten. Am Ende kamen sie zurück: „Wir haben die richtigen Hörner gefunden.“ Dirigent Jos van Immerseel erklärt: „Es kam mir immer vor, als seien die Hörner im Klang zu dick und zu plump; doch ich dachte, das müsse so sein. Nun aber haben wir – als einziges Orchester – originale Hörner. Und siehe da: der Ton ist viel schlanker, wendiger, farbenreicher.“

 

Mit der Suche nach dem richtigen Klang erklärt sich auch, warum im Haus der Cembalistin > Christiane Jaccottet verschiedene historische Tasteninstrumente stehen. „Wie viele besitzen Sie?“, fragt François Hudry, der Gesprächs­leiter der „Plans Fixes“. „Ein Dutzend?“ Christiane Jaccottet lacht auf: „Sie sprechen von der Zukunft! So viele sind es noch nicht!“ Doch Christiane Jaccottet wird es nicht aufs Dutzend bringen. Zwei Jahre nach der Aufnahme ist sie tot. Sie wurde 62 Jahre alt.

 

Auch in Portalban stehen historische Instrumente. François Hudry besucht Luigi Ferdinando Tagliavini. Fribourg – gleich wie der Dampfer – heisst die Universität, an welcher der Musiker und Musikhistoriker zwischen 1971 und 2000 als ordentlicher Professor wirkt. Einer seiner Doktoranden, Etienne Darbellay, übernimmt den musikwissenschaftlichen Lehrstuhl an der Universität Genf. Ein anderer, Paul-André Demierre, wird hochangesehener Spezialist für Gesangsstimmen und historische Opernaufnahmen bei Radio Suisse Romande Espace 2.

 

Nach der Emeritierung wird Luigi Ferdinando Tagliavini anfangen, sein Haus zu bestellen und die Sammlung sechs Jahre vor dem Ableben der Stadt Bologna vermachen, wo er aufgewachsen ist und sterben wird. Seither finden sich seine über neunzig historischen Tasteninstrumente unter dem Namen Collection Tavigliani im ehemaligen Kloster San Colombano. Sie sind öffentlich ausgestellt und spielbar.

 

Dies Haus ist mein und doch nicht mein

Dem’s vor mir war, war’s auch nicht sein

Er ging hinaus, ich ging hinein

Nach meinem Tod wird’s auch so sein.

 

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