5. Mai. 1957 –
Aufgenommen am 2. Mai 2024 in Genf.
Katrine Zingg – Association Films Plans-Fixes
> In den Programmheften der Genfer Oper, dem „Grand Théâtre de Genève“, erschien Katrine Zingg nie, obgleich sie während zehn Jahren bei allen Produktionen mitwirkte. Das war am Berner Stadttheater nicht anders, wo sie in der „Zauberflöte“ die drei Knaben mit Goldglanz versah. Als Maskenbildnerin gehört Katrine Zingg zu den Kräften, die unsichtbar bleiben. Im Unterschied zur Bühne werden sie zwar im Abspann der Filme genannt, doch wenn sie auftauchen, beginnt das Publikum, den Saal zu verlassen. <
Fünf Jahre ihres Lebens hat Katrine Zingg drangegeben, um den Beruf der Maskenbildnerin zu erlernen. Jetzt, mit 67, wirkt sie immer noch in ihm. Keine Rede von Ruhestand. In den „Plans Fixes“ zeichnet sie vor Patrick Ferla eine Horizontale in die Luft: Es soll bitte gleichmässig weitergehen! Die Vertraute der Künstler ist noch nicht erlahmt, auch wenn viele ihrer Gefährten schon abgetreten sind.
Aber Film und Bühne erneuern sich unablässig durch hinzutretende Talente. Und die alten, denen Gott Gesundheit schenkte, die bleiben durch die Kunst der Lebensdarstellung bis weit über die Pensionsgrenze hinaus jung. Gestern Dienstag stand die achtzigjährige Barbara Petritsch als Ase in Ibsens „Peer Gynt“ auf den Brettern des Burgtheaters. In der Josefstadt spielt die 83-jährige Marianne Nentwich – auch sie mit fabelhafter Diktion – in Goldonis „Trilogie der Sommerfrische“ eine liebesbedürftige Matrone, komisch und anrührend zugleich. Der Waadtländer Tenor > Hugues Cunéod sang bis 85. Dann nahm er an der Metropolitan Opera New York als Kaiser in Puccinis „Turandot“ Abschied von der Bühne.
Für Sängerinnen ist es schwieriger. Laut Operabase trat Katrine Zinggs Freundin Monique Barscha mit 44 Jahren zum letzten Mal auf. Das war 1995. Am Opernhaus von Lyon verkörperte sie damals die Fata Morgana in Prokofjews „Liebe zu den drei Orangen“. Mit derselben Rolle hatte sie elf Jahre vorher, am 10. September 1984, am Grand Théâtre de Genève debütiert. Musikalische Leitung: Horst Stein. Inszenierung, Bühnenbild, Kostüme und Beleuchtung: Andrei Serban. Und in der Maskenabteilung: Katrine Zingg.
Dem Theater verfiel sie mit 14 Jahren. Damals nahm sie die Mutter ins Stadttheater Bern mit. Auf der Bühne lief „Eugen Onegin“. Die Oper berührte sie derart, dass sie unverzüglich den Klavierauszug kaufte, um sich die Briefszene vergegenwärtigen zu können. Und als sie später in der Zeitung einen Artikel über den Beruf der Maskenbildnerin las, erkannte sie ihre Bestimmung:
Maskenbildner, Theaterberuf, heute in erster Linie kosmetischer Berater der Darsteller, von der Ausbildung her meist Frisör, verhilft den Darstellern mit Schminke, Puder und anderen Kosmetika, durch Frisieren des eigenen oder durch Anpassen fremden Haares (Toupets, Perücken, Bärte) zu dem von der Inszenierung vorgesehenen Aussehen.
(Theater-Lexikon, hg. von Henning Rischbieter.)
Während der zehnjährigen Anstellung am Grand Théâtre de Genève begegnete Katrine Zingg bei Freunden dem Prinzen ihres Lebens: „Es war Liebe auf den ersten Blick.“ Der fünfzigjährige Schriftsteller und Journalist Freidoune Sahebjam stand unter dem Bann des Ayatollah-Regimes in Teheran. Seine islamkritischen Artikel in „Le Monde“ und „Figaro“ hatten ihm 1979 die Todesstrafe zugezogen. Doch im Genfer Freundeskreis bezirzte er alle mit seinem Geist, seiner Lebhaftigkeit und seinem Humor.
Als die Runde auseinanderging, fragte er Katrine Zingg: „Darf man Ihnen schreiben?“ Beim Erzählen vor der Kamera kommt die ganze Emotionalität der Szene wieder auf. Die Dreissigjährige reagierte mit überwältigtem „Ah!“ und übergab ihre Adresse dem Perser. Daraufhin begannen seine Briefe einzutreffen, zwei pro Woche, siebzehn Jahre lang, und die Bühnenbildnerin lernte ihren Prinzen kennen, tiefer und tiefer.
Ihr Beruf bringt es mit sich, dass sie den Menschen nahekommt. Bevor Schauspieler und Sänger ins Licht der Bühne treten, bieten sie Katrine Zinggs Fingern das Gesicht dar. Durch sie werden sie bereitgemacht, nach aussen hin eine Ausstrahlung als Mensch und Figur zu bekommen, und die anonyme Bühnenbildnerin trägt in der Intimität der letzten Begegnung vor dem Auftritt dazu bei, dass sich die Darsteller in die Rolle finden und in der Öffentlichkeit einen Namen machen.