Eric Gaudibert: Pianist, Komponist, Lehrer.

21. Dezember 1936 – 29. Juni 2012.

 

Aufgenommen am 2. November 2005 in Confignon.

Eric Gaudibert – Association Films Plans-Fixes

 

> Bevor er sich einen Namen als Komponist machte, ist Eric Gaudibert wie Schumann und Liszt als Pianist aufgetreten. Und wie die beiden Vorgänger liebte auch er poetische Titel für seine Stücke; etwa „La Harpe du silence“ (Die Harfe der Stille) oder „Diamant d’herbe“ (Grasdiamant). „Gegensätze stimulieren die Inspiration“, erklärt er. „Doch am Folgetag kommt die Arbeit. Sie verwandelt das Hervorbringen in eine Sache der Disziplin.“ Die Schriftsteller Gustave Flaubert und Emile Zola, Thomas Mann und Heimito von Doderer haben dasselbe mehrfach bezeugt. Künstler sein ist eine Frage der Tagesgestaltung. <

 

Mit 15 Jahren kam Eric Gaudibert als Klavierschüler zu > Denise Bidal ans Konservatorium von Lausanne. Wie bei der Lehrerin umgehen die „Plans Fixes“ auch in seinem Fall den Bereich „Privatleben“. Im Porträt der Pianistin kommt immerhin ein schwarzer, schlafender Hund ins Bild. Beim Komponisten aber muss man warten bis zur letzten, stummen Sequenz. Da zeigt die Aufnahme vom Garten her sein kleines, zweistöckiges Haus in der Dämmerung. Hinter dem oberen Fenster brennt Licht. Ein Ausschnitt aus „Gemmes, quatre pièces pour orchestre“ erklingt aus dem Off. Da springt eine kleine, weisse Katze im Hintergrund auf und rennt weg. Zurück bleiben nur noch Abend, Garten, Stille.

 

Dem Gesprächspartner Jean-Pierre Amann erklärt Eric Gaudibert: „Der Komponist arbeitet mit der Zeit und der Stille.“ Zur Illustration schlägt er auf dem Klavier ein paar Töne an: „Beim Entstehen erlebe ich die Musik als Verlauf. Ist sie fertiggeschrieben, sehe ich sie auch als Skulptur.“

 

Eduard Hanslick definierte die Tongebilde mit den Worten:

 

Tönend bewegte Formen sind einzig und allein Inhalt und Gegenstand der Musik.

 

Die Form und ihre Wandlungen – sie sind mithin das Thema des Komponisten. Dabei wirken Gegensätze stimulierend auf die Inspiration: Der Gegensatz Wort–Ton; der Gegensatz: Gras–Diamant („Diamant d’herbe“); der Gegensatz Klang–Stille, wie ihn der Titel: „La Harpe du silence“ übermittelt. Mit der „Harfe der Stille“ unter dem Arm wagt es Eric Gaudibert mit 31 Jahren zum ersten Mal, an der Tür eines Dirigenten zu läuten. „Dafür brauchte es Überwindung. Denn ich bin schüchtern.“

 

Die Selbstaussage ist nachvollziehbar. Auch im Film wirkt Eric Gaudibert nicht wie einer, der sich vordrängt; wohl eine Prägung durch sein frommes Elternhaus. Der Grossvater komponierte Kirchenlieder. „Gar nicht schlecht“, findet der Enkel. Aber jetzt – was wird > Victor Desarzens, der angesehene Chef und Gründer des Orchestre de Chambre de Lausanne von der „Harpe du silence“ halten?

 

„Ich danke Ihnen für das Manuskript. Ich schaue es mir gerne an. Sie hören von mir.“ Und siehe, bereits am nächsten Tag ruft Desarzens an: „Das Stück gefällt mir. Ich will’s aufführen.“ „Stellen Sie sich vor!“, ruft Eric Gaudibert. „Das Saisonprogramm ist schon publiziert. Und nun ersetzt er fürs November-Konzert eine bereits ausgewählte Komposition durch die meine! Und er sagt, in Winterthur, wo er das Stadtorchester [heute Musikkollegium] leitet, werde er mit meinen Werken einen ganzen Abend bestreiten!“

 

Nach diesem Durchbruch gehört Eric Gaudibert zur Riege der Komponisten. Er braucht sich nicht um Aufträge zu bemühen, sie kommen von selbst. – Das Gleiche hat der Maler, Mosaik- und Glaskünstler > Bernard Viglino erlebt. Um in Erfahrung zu bringen, was er als Künstler gelte, reichte er an einem Wettbewerb den Entwurf zu einem farbigen Kirchen­fenster ein und gewann den ersten Preis. Fortan konnte er von der Kunst am Bau leben: Kirchenfenster, Fresken, Wandgemälde, Mosaike.

 

Eric Gaudibert behielt sein Leben lang die Weite, die er im Studium bei Alfred Cortot gewonnen hatte: „In Paris fing ich mit dem Vorsatz an, jeden Tag einen Menschen kennenzulernen, der von mir verschieden war. Das war wohl etwas naiv; aber ich hab’s eine Zeitlang durchgezogen.“

 

Auch der neue Lehrer lebte Gegensätzlichkeit vor. „Es hiess immer, bei ihm gehe es um reine Intuition. Doch fürs Vorspiel in seinem Unterricht verlangte er, dass man dem Stück einen Kommentar vorausschicke. ‚Selbstgedachtes! Nicht aus Büchern!’, betonte er. Und nach dem Vortrag musste man das eigene Spiel kritisieren. – Sie sehen, es ging ihm ums Gleichgewicht von Intellekt und Gefühl.“

 

Er, Eric Gaudibert, schaffte auch den Spagat zwischen der akustischen Musik, die er am Genfer Konservatorium unterrichtete, und der elektronischen Musik, die er als Mitarbeiter und Produzent am Westschweizer Fernsehen hervorbrachte und einem breiten Publikum vermittelte. Crossover lag damals in der Luft. In diesem Stil erhielt die Wiener Kaffeesiederin Susanne Widl eine ihr und ihrem Kaffeehaus gewidmete Komposition. – Olga Neuwirth:

 

Das war zu ihrem Geburtstag und zum hundertzehnten Geburtstag des Café Korb. Ich nahm stundenlang Klänge im Korb auf: wie ein Schnitzel gebraten wird, wie die Leute reden, wie die Tassen klappern. Diese Geräusche analysierte ich, verarbeitete sie zu einem Geräuschtrack und komponierte ein Streichtrio dazu, à la französische Salonmusik um 1900, circa acht Minuten Ausführungszeit. Bei der Feier im Rathaus wurde „Pièce d’amour pour le Café Korb“ als Geschenk präsentiert. Die Originalgeräusche wurden eingespielt, und das Streichtrio spielte live dazu.

 

In seinem Spätwerk berücksichtigte Eric Gaudibert neben den avantgardistischen auch volkstümliche und exotische Musikauffassungen. Und er pflegte im Unterricht die Verbindung zwischen sich und den andern: „Viele junge Menschen haben eine Botschaft. Doch sie formulieren sie ungelenk. Wenn man ihnen zeigen kann, wie sie mit Material und Instrumentarium umzugehen haben, ist das für sie eine Hilfe.“

 

Der Eindruck, den Eric Gaudibert in den „Plans Fixes“ hervorruft, findet sich zusammengefasst in einem Brief des Kritikers und Essayisten Max Beerbohm an seinen Kollegen Alan Dent:

 

Sie drängen sich nie nach vorn. Sie verschmelzen mit ihrem Thema. Sie wünschen, dass Ihr Leser die Freude an einer guten Arbeit, die Sie bewundern, teilt und nebenbei von Ihnen erfährt, warum sie bewundernswert ist. Mein eigener Wunsch war, dass der Leser mich bewundert. Und es geschah mir recht, dass er das, soweit ich weiss, nicht tat.

 

Doch so bescheiden Sie auch sind, Sie können über Ihre seltene Begabung für die Kunst des Schreibens nicht im ungewissen sein.

 

Lieber Herr Gaudibert, aus diesem Holz waren auch Sie geschnitzt, nicht wahr?

 

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