Cilette Faust: Der Tanz, das Autorennen und der Wein.

21. August 1929 – 24 November 2018.

 

Aufgenommen am 1. Mai 2009 in Sitten.

Cilette Faust – Association Films Plans-Fixes

 

> Das Porträt der 80-jährigen Tanzlehrerin Cilette Faust entsteht in ihrem Studio. Mit 19 Jahren hat sie die „Académie de danse Cilette Faust“ geschaffen und in mehr als sechzig Jahren 12’000 Schülerinnen unterrichtet. Sie war Pionierin. Sie brachte den klassischen Tanz ins Wallis. Sie schaffte sich zwölf rote Alfa Romeos an. Sie fuhr zu den grossen Autorennen. Sie blieb ledig. „Was die Leute sagen, ist mir egal.“ <

 

Während Cilette Faust für die „Plans Fixes“ kerzengerade auf der Kante eines Fauteuils sitzt, ohne sich anzulehnen oder nach hinten zu rutschen, gleiten zwei Schülerinnen durchs Bild: Links ein siebenjähriges Mädchen, rechts eine fünfzehnjährige Elevin.

 

Die Tänzerinnen ziehen das Auge auf sich:

 

Alle Bewegungen des Körpers, die nach bestimmten Gesetzen geordnet sind, um die Blicke durch irgendeine Handlung zu beeinflussen, werden im Allgemeinen als Gebärden bezeichnet.

(Jean-Jacques Rousseau: Dictionnaire de Musique, 1767.)

 

Die Gebärden der Tänzerinnen lenken von Cilette Fausts Ausführungen ab. Ihr Werdegang entspricht ja auch nicht den Qualifikationen, welche für die Leitung einer Akademie heute gefragt sind: Fachdiplom, langjährige Tätigkeit im Berufsfeld, Führungserfahrung, Bachelor-, womöglich Mastergrad. Cilette Faust, die Pionierin, ist bloss Macherin. Sie kann keine Titel vorweisen.

 

Zum Tanz kam sie wie > Gil Roman, der Leiter des Béjart-Balletts Lausanne. Sie holte eine Freundin vom Unterricht ab, und wie sie die Tür zum Ballettsaal öffnete, traf sie der Blitz: „Das muss ich machen! Das ist mein Ding!“ Nach dem Klavierdiplom schrieb sie sich für die Kurse der Tanzleiterin des Lausanner Stadttheaters ein. Dann wechselte sie nach Paris. Als Stagiaire in Opéra Garnier und Salle Pleyel freundete sie sich mit den Koryphäen an.

 

Mit 19 Jahren kam sie zurück: „Ich bin Waliserin. Hier ist meine Welt.“ In Siders begann sie, als Tanzlehrerin zu wirken. Das Studio baute der Vater im elterlichen Haus. Auch er war Pionier: Gründer des örtlichen Damenturnvereins.

 

Mit dem Komponisten > Jean Daetwyler und dem Schriftsteller > Maurice Zermatten produzierte Cilette Faust grosse Spektakel für Musik, Gesang und Tanz. Das Freilichtspiel war ihre Passion. Sie entwickelte Choreografien für ein Floss in der Bucht von Bouveret am Genfersee und auf dem Lac de Géronde in Siders. Insgesamt fünfhundert Produktionen mit Schülerinnen und Berufstänzern entstanden in ihrer Ägide.

 

Die Gebärden werden in zwei Arten unterteilt; die eine dient zur Begleitung der Sprache, die andere zu ihrem Ersatz. Die erste ist jedem, der spricht, eigen und verändert sich je nach Mensch, Sprache und Charakter. Die zweite ist die Kunst, durch Bewegungen des Körpers, die zu Zeichen geworden sind, ohne die Hilfe der Schrift zu den Augen zu sprechen. Da die Gebärde für uns mühsamer und unnatürlicher ist als der Gebrauch der Sprache, der die Gebärde überflüssig macht, schliesst die Gebärde die Sprache aus und verlangt ihren Verzicht; das nennt man die Kunst der Pantomime. Wenn man zu dieser Kunst eine Auswahl an angenehmen Haltungen und rhythmischen Bewegungen hinzufügt, hat man das, was wir Tanz nennen.

(Jean-Jacques Rousseau: Dictionnaire de Musique.)

 

„Der Tanz ist eine stille, friedliche Kunst“, erklärt Cilette Faust. „Darum fasziniert mich der Kontrast von Lärm und Motoren.“ Mit ihrer Schwester Christiane besucht sie die grossen Autorennen: „Hier geht es um Leben und Tod.“ Mit Christiane auf dem Nebensitz steuert sie ihr Markenzeichen, den roten Alfa Romeo, durch die „Rallye des neiges“ und die „Rallye du vin“, bis letztere verboten wird, weil in ihr die Konkurrenten von Weinkeller zu Weinkeller fahren und in jedem ein Glas nehmen.

 

Aber hier können die Schwestern den Männern etwas vormachen. Sie gewinnen den Sieg im Blinddegustieren. Er bringt Cilette Faust in den Vorstand des „Ordre de la Channe, première confrérie bachique valaisanne“. Und als Patin führt sie verschiedene neue Mitglieder in die Weinbruderschaft ein; unter anderem FIFA-Chef Sepp Blatter und > Léonard Gianadda, den Gründer der Fondation Pierre Gianadda.

 

Durch „Schönheit und Emotion“ wird Cilette Faust vom Tanz fasziniert:

 

Der Tanz hat, wie der Gesang, vor allen Werken der Künste dieses voraus, dass er nicht bloss durch die lebhafte Schilderung wirkt, sondern überdies durch die Ausübung eine weit grössere Kraft erhält als irgendein anderes Werk der Kunst, das wir bloss durch das Anschauen oder Anhören geniessen. Wie das Lied, das wir selbst singen, ungleich mehr Kraft auf uns hat als das, welches wir bloss anhören: so hat auch der Tanz nur auf diejenigen, die ihn wirklich ausüben, die vollste Kraft. Man wird darum von keiner anderen Kunst so augenscheinliche und so lebhafte Wirkung sehen als die ist, die der Tanz auf die tanzenden Personen macht. Denn man hat, wenn ich nicht irre, Beispiele, dass Menschen sich zu Tod getanzt haben: so gross ist die Begierde, die Rührungen zu empfinden, die das Tanzen hervorbringt.

(Johann Georg Sulzer: Allgemeine Theorie der schönen Künste, 1771 ff.)

 

Cilette Faust übergibt mit 84 die „Académie de danse“ an Sandrina Silva Marques und Valentina Lupica. Sie stirbt fünf Jahre danach im Alter von 89 Jahren.

 

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